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Berlin: Dreiste Worte

Warum Christian Wulffs Rede ärgerlich ist – und seine Vorschläge richtig sind Von Rolf Kreibich

Grundsätzlich ist es erfrischend und zu loben, wenn ein Politiker offene und klare Worte findet – auch wenn sie in Richtung Berlin gerichtet sind und uns wehtun. Wahr ist, dass in der Berliner Politik nach dem Mauerfall vieles falsch gelaufen ist, das meiste in erster Linie zum Schaden der Berliner selbst. Auch wir Berliner Bürger haben nicht alles weltmeisterlich gemacht und insofern müssen wir uns auch hart kritisieren lassen. Trotzdem darf einiges, was uns Ministerpräsident Christian Wulff ins Stammbuch schreiben wollte, nicht unkommentiert bleiben.

Besonders ärgerlich fand ich, dass der Ministerpräsident die aktuelle gigantische Verschuldung Berlins von 64 Milliarden Euro dem Wowereit-Sarrazin-Senat in die Schuhe geschoben hatte und mit keinem Wort die Hauptverantwortlichen der Großen Koalition aus CDU und SPD in den Jahren 1990 bis 2001 erwähnte. Die gigantischen Schulden der Stadt wurden – davon mindestens 50 Prozent hausgemacht – fast ausschließlich in der Zeit der Großen Koalition unter seinen Parteifreunden Diepgen und Landowsky gemacht: durch den irrwitzig aufgeblähten öffentlichen Dienst in Ost und West, durch horrende, unkontrollierte Sozial-, Bau- und Kulturausgaben, durch die Angleichung der Ostgehälter im öffentlichen Dienst an die Westeinkommen, durch eine völlig verfehlte Wirtschaftsförderungspolitik, durch die gigantischen Verluste im Rahmen der Bankgesellschafts-Pleite, durch die Verhökerung unseres Tafelsilbers Bewag, Gasag, Wasserbetriebe für einen Appel und ein Ei. Außerdem war die Wirtschaftspolitik in dieser Zeit im Gegensatz zu anderen Bundesländern vom Niedergang besonders wertschöpfender Produktions- und Dienstleistungsbereiche geprägt.

Es ist wahr, dass Berlin – in West und Ost – in dieser Zeit von einer „ausgesprochenen Subventionsmentalität“geprägt war. Nicht wahr ist, dass wir nach wie vor in einem goldenen Käfig leben: Wer nach den zum großen Teil richtigen, quietschenden Sparmaßnahmen des Wowereit- Sarrazin-Senats nicht sieht, dass weite Teile der Stadt vergammeln, die Schulen, Sportplätze, Kitas, Hochschulen, Kultureinrichtungen sich in teilweise katastrophalen Zuständen befinden, der geht nicht mit offenen Augen durch die ganze Stadt, sondern nur durch das Regierungsviertel.

Heute ist das Berlin der Bürger und Arbeitenden ganz bestimmt nicht mehr die gehätschelte und getätschelte Stadt. Und wenn das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seines überharten Schuldenurteils den Berlinern empfiehlt, auch noch den Wissenschaftsetat herunterzufahren, dann geht das wirklich in die völlig falsche Richtung: Sollen wir noch den wichtigsten innovativen und wertschöpfenden Bereich kaputt machen? Nein, wir leben nicht mehr in Saus und Braus und wir brauchen alle Ressourcen, die eine leistungsfähige Wirtschaft und Infrastruktur fördern.

Die Berliner hätten in Zeiten vor dem Mauerfall sehr gut von den Alimentenzahlungen des Bundes und der westdeutschen Bundesländer gelebt, führte Wulff aus. Außerdem sei Berlins Sinn für die Historie „unterentwickelt“ – wir Berliner hätten quasi als Hauptbeteiligte die Geschichte zweier Diktaturen nur unzureichend aufgearbeitet: „Das nehme ich Berlin wirklich übel“, sagte Wulff. Außerdem sei in Berlin die Kritik an Amerika am ausgeprägtesten, „obwohl gerade hier die Bereitschaft, Danke zu sagen, am größten sein sollte“. Das geht nun wirklich etwas zu weit: Wir Berliner haben die ganzen Jahre vor dem Mauerfall nie gejammert und materiell ordentlich gelebt. Trotzdem wollten nur wenige Westdeutsche angesichts von Blockade, Mauerbau, Kuba-Krise und Grenzschikanen mit uns tauschen. Im Gegenteil, die Spitzenleute der großen Unternehmen sind samt Konzernzentrale und Forschung nach Westen abgehauen. Und jede Fahrt nach Niedersachsen, Bayern oder Baden-Württemberg war für uns Berliner eine Reise in ein anderes Land, in dem es diese Probleme und Folgen kaum gab.

Die Aussage, dass wir Berliner besonders verantwortlich für die zwei Diktaturen waren und diese nur unzureichend aufgearbeitet hätten, ist aus dem Munde eines jüngeren westdeutschen Ministerpräsidenten nicht hinzunehmen und schon fast dreist: In Berlin hat es nie eine Mehrheit für die Nazis gegeben und die Ulbrichts und Honneckers stammten auch nicht aus Berlin. Im Gegenteil, die meisten Hochburgen des Widerstands gegen beide Diktaturen waren in Berlin. Als Berliner, der all die Jahre viel in alle Winkel Deutschlands gereist ist, konnte ich nur feststellen, dass ich in dieser Hinsicht immer froh war, in Berlin-West zu leben, um dort den Geist der Aufarbeitung und Freiheit gegenüber beiden Diktaturen mitzuerleben. Oft kam ich aus Westdeutschland und aus Ostdeutschland regelrecht deprimiert zurück, weil dort die Aufarbeitung entweder gar keine Rolle spielte oder wie die Geschichte der Punischen Kriege behandelt wurde. Und dass die Berliner den Amerikanern viel zu verdanken haben, das strömt hier doch aus jeder Rede.

Dabei akzeptiere ich zahlreiche der Wulff’schen Kritikpunkte – und wichtiger noch die Vorschläge: Dass die Schulden aller Bundesländer unter Einschluss Berlins in einem „Nationalen Entschuldungsplan“ bei gleichzeitiger Mobilisierung aller Leistungskräfte in allen Bundesländern (auch in Berlin!) bewältigt werden sollten, finde ich ausgezeichnet. Ebenso gut finde ich den Vorschlag, ein hochleistungsfähiges und wertschöpfendes Wirtschaftsdreieck der „Metropolenregionen Hamburg – Hannover – Berlin“ zu entwickeln. Beide Vorschläge sollten wir in Berlin unverzüglich aufgreifen und mitwirken, dass daraus für alle Beteiligten eine echte Win-Win-Strategie wird.

Professor Rolf Kreibich war von 1969 – 1976 FU-Präsident, ist seit 1981 Direktor des IZT Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung Berlin und seit Jahren engagiert für die Aufklärung des Berliner Bankenskandals.

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