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Drogen: Familien im Rausch

Kinder drogenabhängiger Eltern verfallen oft selbst der Sucht. Pädagogen sind da besonders gefordert.

Berlin - Kinder drogenabhängiger Eltern leben mit einem sehr hohen Risiko, selbst einer Droge zu verfallen und schwere psychische Schäden davonzutragen. In Berlin erleiden schätzungsweise 78 500 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren dieses Schicksal. Deutschlandweit sind es 2,6 Millionen Kinder, das ist fast jedes sechste Kind. Zu diesem Ergebnis kommen Studien der Katholischen Fachhochschule Köln und der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Der Verein Nacoa, die „Interessenvertretung für Kinder aus Suchtfamilien“, machte gestern auf diese erschreckenden Zahlen aufmerksam.

Zu den Süchten, die in der Statistik gezählt wurden, gehören Alkohol- und Medikamentensucht ebenso wie die Abhängigkeit von illegalen Drogen. Der Verein möchte mit einer Tagung, die bis Sonntag in Neukölln stattfindet, Lehrer und Erzieher, Mitarbeiter der Jugend- und Suchthilfe sowie der Jugendämter sensibler für das Thema machen und zu einer besseren Vernetzung beitragen. In anderen Bundesländern gebe es bereits Notruftelefone und spezielle Ansprechpartner für dieses Thema, sagte Henning Mielke von Nacoa. „Berlin steht nicht besonders gut da.“

Untersuchungen haben ergeben, dass ein Drittel der Kinder, die in suchtkranken Familien aufwachsen, später selbst drogensüchtig wird. Ein weiteres Drittel sucht sich später – meist unbewusst – suchtkranke Partner. Die anderen 30 Prozent tragen psychische Schäden davon, sagte Elvira Surrmann, die Beauftragte für Suchtprävention in der Berliner Bildungsverwaltung. Die Anfälligkeit für Drogen werde in suchtkranken Familien vererbt wie in anderen das Tafelsilber, sagte Rüdiger Salloch-Vogel, der viele Jahre die Suchtabteilung des Jüdischen Krankenhauses geleitet hat. Zum Teil werde die Disposition für die Abhängigkeit genetisch weitergegeben, vor allem aber durch das Vorbild, das die Eltern den Kindern vorleben.

So lernen diese Kinder früh, dass man bei Problemen am besten zur Flasche oder zur Tablette greift; sie lernen, die Sucht ihrer Eltern nach außen zu vertuschen, weil ihnen das peinlich ist, so Salloch-Vogel. „Kinder brauchen für ihre Entwicklung stabile emotionale Beziehungen“, sagte Elvira Surrmann. „Alkoholkranke Eltern können solche Beziehungen nicht bieten.“

Wer in der Kindheit erlebt, wie Vater und Mutter im Rausch mit Messern aufeinander losgehen, wird es im späteren Leben schwer haben, Vertrauen aufzubauen, Selbstbewusstsein zu entwickeln, einen Beruf zu finden. Auch könnten Kinder aus solchen Familien sehr viel schwerer dem Unterricht folgen, die Gefahr, in der Schule zu versagen, sei sehr hoch. „Lehrer müssen die Angst verlieren, genauer hinzuschauen“, sagte Surrmann. Die Bildungsverwaltung arbeite zusammen mit dem Verein Nacoa daran, dass die Aufklärung über dieses Thema zum festen Bestandteil der Lehrer-Fortbildung werde.

Die Tagung des Vereins Nacoa „Kinder in suchtbelasteten Familien“ findet heute statt von 9 bis 18 Uhr und morgen von 9 bis 13 Uhr im Saalbau Neukölln, Karl-Marx-Str. 141, Neukölln

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