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Berlin: Drogen im Hausflur

Naunynstraße 61: Ein Gebäude wird belagert

Von Susanne Leimstoll

Es gibt nicht mehr viele alteingesessene Mieter in der Naunynstraße 61. Und die, die geblieben sind, verspüren neuerdings das dringende Bedürfnis, in eine andere Gegend zu ziehen. In eine, in der sich nicht allabendlich Clans „junger Männer, vermutlich türkischer Abstammung“, vor dem Internet-Café an der Ecke Adalbertstraße versammeln oder bestimmte Hauseingänge belagern. Kerle, an denen sich kein Mensch mehr vorbeitraut. Weil die sagen: „Die Naunynstraße gehört uns.“ Weil sie Passanten und Anwohner anpöbeln und bedrohen. Weil sie und ihre Kundschaft schwere Haustüren aufbrechen, sich in den Treppenhäusern treffen, um zu dealen, Drogen zu konsumieren oder welche zu bunkern. Neuerdings wollen die Anwohner bemerkt haben, dass die Typen, die um die schwarzen vorfahrenden Luxusschlitten herumstehen, bewaffnet sind. Messer, Schlagringe, das sei das wenigste. „Die rüsten auf“, sagt jemand aus dem so belagerten Gebäude Nummer 61. „Für uns beginnt jetzt der Kampf um dieses Haus. Wir wollen es zurückhaben, die wollen’s nicht hergeben.“

Der Kampf um das Haus wird von den Belagerten schriftlich oder per Telefon geführt. Im März informierten die Mieter die Wohnungsbaugesellschaft GSW in einem Brief über die Zustände und baten um Abhilfe. Letzte Woche reagierte das Unternehmen und sagte brieflich zu, die Schlösser an den Haustüren reparieren zu lassen, das Haus- und Hoflicht instand zu setzen und künftig engen Kontakt mit den Bewohnern zu halten. „Die sind aufgewacht“, sagt eine Mieterin. Die GSW schreibt, sie habe Strafantrag gestellt gegen Unbekannt – wegen andauernden Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung. Der Polizei hat sie Bereitschaft zur Kooperation signalisiert.

Die Polizei hat längst reagiert, fährt vermehrt Streife, kontrolliert öfter – und hat die Zahl ihrer Schwerpunkteinsätze rund um den Drogenumschlagplatz Kottbusser Tor verstärkt. 84 waren es im letzten Jahr, doppelt so viele wie zuvor.

Manche allerdings laufen ins Leere. Der am 1. März in der Dresdener Straße erbrachte einen leer geräumten „Bunker“ in einem Keller, in dem weiche Drogen gelagert wurden. Ins Netz gingen zwei Kleindealer und einige wenige Konsumenten. Am 19. März folgte ein Einsatz im Internet-Café an der Ecke Adalbertstraße. Mittlerweile scheint auch in der Naunynstraße die Präsenz der Polizei etwas zu bringen. Die Dealerszene scheint verunsichert, fühlt sich beobachtet. Nicht mehr lange und sie wird sich, wie in der Dresdener Straße, verlagern – in einen Kiez um die Ecke. „Junkie-Jogging“ nennt Wolfgang Nitze von der Plan- und Leitstelle Gesundheit des Bezirksamtes das. Alltag rund um den „Kotti“. Nitze glaubt, dass am Problem Drogenkiez grundsätzlich nichts mehr zu ändern ist. Allenfalls sei die Situation erträglich zu machen: durch mehr Hilfsangebote für Abhängige, hell erleuchtete Straßen, gut verschlossene Hauseingänge, polizeiliche Maßnahmen. „Das ist ein gesellschaftliches Problem, illegale Drogen zu sanktionieren.“

Ihr kleines Kiezproblem betrachten die Naunynstraßen-Geschädigten als hausgemacht. „Verfehlte Bezirkspolitik, blindwütige Vermietungspolitik“, sagen sie. Manchmal erzählen sie von den guten Zeiten. Die sind 20 Jahre her, da stand SO 36 noch für die Hausbesetzerszene und die Alternativen. „Es war weltoffen und wirklich multikulti hier“, sagt eine Anwohnerin. Dann blieben vor allem die zugezogenen Migranten, Türken und Araber zurück, Jugendliche ohne Lehrstelle, junge Männer ohne Job.

Joachim Hennig, seit 15 Jahren Sozialarbeiter im Kreuzberger Kiez, schimpft auf die Jugendpolitik im Bezirk. „Wenn die Leute nicht in Jugendeinrichtungen wie die Naunynritze reinkönnen, dann müssen die ja auf die Straße. Das sind unbequeme, fallen gelassene Jungs zwischen 16 und 28, Schulabbrecher ohne Chance auf Beschäftigung. Die gleiten ab ins kriminelle Milieu.“ Er und andere Sozialarbeiter versuchen einzugreifen – mit einem EU-finanzierten Projekt für Integration und Gewaltprävention, das sich „Fit und fair“ nennt. Zum Programm gehören „Motivationsrunden“, Hilfe beim Jobcenter und außerdem: vermitteln, wie respektvoller Umgang aussieht. Jemand habe das mal so umschrieben: Die Festplatte löschen und die Leute positiv konditionieren. „Nein“, sagt Hennig, „ich fühle mich hier nicht auf verlorenem Posten.“

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