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Berlin: Drogen im Knast: Wenn es Nacht wird, kommen die Dealer

In Plötzensee floriert der Handel über die Mauer. Behörde ist dies offenbar bekannt, passiert ist nichts

Sobald es dunkel wird, herrscht Betrieb an der Mauer vor der Jugendstrafanstalt Plötzensee: Nahezu jede Nacht werfen junge Männer Pakete oder Beutel voller Drogen, Anabolika und Mobiltelefone über die Mauern der Haftanstalt. Dieser schwunghafte Handel seit längerem auch den zuständigen Behörden bekannt – das belegen Recherchen des ARD-Magazins „Kontraste“. Eine Reporterin hat sich mit einem Kamerateam nächtelang auf die Lauer gelegt und den Handel am gestrigen Donnerstagabend dokumentiert.

Wenn die Dunkelheit hereinbricht, schleichen sich junge Männer durch Schrebergärten, die an die Gefängnismauer der Jugendhaftanstalt angrenzen. Sie suchen sich geeignete Lauben aus, steigen auf die Dächer und warten auf ein Signal: Wie im Fernsehbeitrag zu sehen ist, warten bereits jugendliche Häftlinge hinter den Zellengittern auf die Kuriere. Sie brüllen, winken und telefonieren – obwohl sie gar keine Handys besitzen dürfen – mit ihren Komplizen draußen vor der Mauer.

Das nächtliche Drogenschmuggelritual verfolgen Schrebergartenbesitzer seit Jahren. Die Dächer ihrer Lauben benutzen die Kuriere ungefragt. Die Kleingärtner haben Angst, etwas dagegen zu sagen, denn sie werden von den Schmugglern teilweise sogar mit dem Leben bedroht. Dies bestätigten Bewohner der Kleingartenkolonie dem Tagesspiegel gestern. Auf der anderen Seite der Mauer fehlt offenbar das Personal. Jedenfalls unterbinden die Vollzugsbeamten den offensichtlichen Drogenhandel nicht. Obwohl sich die Laubeninhaber bereits bei der Gefängnisleitung darüber beschwert haben, ist nichts passiert.

Im Gegenteil: Eine Laubenbesitzerin erzählt in dem Beitrag, der Anstaltsleiter habe ihr gesagt, er könne dagegen nichts tun. Auch Vollzugsbeamte scheinen machtlos zu sein: In dem ARD-Beitrag berichten die Bediensteten, dass sie Angst vor den Häftlingen und deren Komplizen haben. Der nächtliche Drogenhandel ist auch in einem internen Bericht des Landeskriminalamtes (LKA) dokumentiert, den der Tagesspiegel einsehen konnte. Vor mehr als einem Monat ging der Bericht, in dem von „massenhaften Funden an Mobiltelefonen, Haschisch und Anabolika“ gesprochen wird, an die Polizeiführung und an die Senatsverwaltung für Justiz. Passiert ist offenbar nichts.

Psychiater Werner Droll betreut Vollzugsbedienstete, die ihm von den skandalösen Zuständen in der Anstalt berichtet haben. Er habe sich mehrfach an die Justizverwaltung gewandt, an die Ex-Justizsenatorin Karin Schubert, den früheren Staatssekretär Christoph Flügge und seinen Amtsnachfolger Hasso Lieber. Jedes Mal sei er mit dem gleichen Argument abgespeist worden: „Es sind halt doch relativ viele psychisch labile Justizvollzugsbeamte, und das sei das Hauptproblem“, erzählt Droll in dem Filmbeitrag. Bereits im April 2007 lag der Justizverwaltung eine eigens in Auftrag gegebene Studie der Unternehmensgruppe Kienbaum Consultants vor, in der die Organisationsstrukturen in Berlins Haftanstalten überprüft wurden. Darin wird auch auf den Drogenhandel verwiesen.

Die Kuriere und die Häftlinge haben ein ausgeklügeltes „System“ für die Übergabe entwickelt. Die Straftäter hinter Gittern bauen eine spezielle Fangvorrichtung aus einfachen Hilfsmitteln: Ein aufgetrennter Pullover dient als Schnur, eine zusammengerollte Zeitung als Stab, an dessen Spitze eine verbogene Gabel steckt. Sie greift die Schnur, an der das hereingeworfene Paket hängt. Damit wird später auch die Ware in die Nachbarzellen gependelt. Eine andere Variante: Die Gefangenen binden einen Faden mit einer langen Schnur an mit Wasser durchtränktes Toilettenpapier. Dieses Konstrukt werfen sie über die Gefängnismauer. Die Komplizen binden ihrerseits die Ware an die mit Klopapierknäule beschwerten Fäden. Anschließend ziehen die Häftlinge die Schmuggelware wieder zurück über die Mauer bis in ihre Zellen. Um den Drogenhandel zu unterbinden, kündigte die Justizverwaltung gestern an, dass so genannte Vorsatzgitter für die Zellenfenster in Auftrag gegeben worden seien. Ende Oktober sollen sie eingebaut werden.

Wie viel jede Nacht geschmuggelt wird, kann man anhand der Menge erahnen, die am nächsten Morgen gefunden wird: Sogenannte Irrläufer bleiben im Hof liegen oder an der Mauer hängen. Allein in einer Nacht, so heißt es in dem Fernsehbericht, fanden die Bediensteten zum Beispiel sechs Handys, ein Päckchen mit über 30 Gramm Haschisch sowie eine größere Menge Anabolikatabletten. Doch anstatt die Schmuggelware der Polizei zu melden, stopfen die Bediensteten Drogen und Tabletten in blaue Müllsäcke, die sie illegal entsorgen. Das ist Strafvereitelung im Amt und illegale Arzneimittelentsorgung.Tsp

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