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Berlin: „Du musst dich abnabeln, bevor es zu spät ist“

In seinem neuen Kinofilm, der Familientragödie „Scherbentanz“, wird Jürgen Vogel mit den dunklen Geheimnissen seiner Eltern konfrontiert. Auch privat hat der Schauspieler ein schwieriges Verhältnis zu seiner Herkunftsfamilie. Bei seinen Kindern setzt er auf frühe Selbständigkeit.

Sie spielen in Ihrem neuen Film einen jungen Mann, der aus einer zerrütteten Familie kommt. Was hat Sie an der Rolle gereizt?

Als ich das Buch gelesen habe, hat es mich umgehauen. Die Geschichte beschreibt den Kampf eines ausgestoßenen Sohnes mit seinen Eltern. Das hat mich sehr gereizt.

Wieso?

Ich kenne dieses Gefühl, in der eigenen Familie ganz auf sich alleine gestellt zu sein, einsam zu sein.

Was bedeutet Ihnen Ihre Familie?

Familie sind für mich nicht nur Blutsverwandte. Ich habe viele Menschen, die ich als Familie bezeichne, mit denen ich aber nicht im biologischen Sinne verwandt bin. Ich bin ja schon mit 15 von meiner Ursprungsfamilie weggegangen und habe mir meine eigene, neue Familie zusammengefunden. Menschen, mit denen mich nicht meine Geburt verbindet, sondern Freundschaft und Zuneigung.

Wieso sind Sie damals gegangen?

Ich habe früh gemerkt, dass meine eigene Familie nicht der Ort ist, an dem ich mich richtig entwickeln kann. Und in einem solchen Fall muss man seine eigene Familie verlassen. Es ist falsch, sich dem endlos auszusetzen, wenn’s nicht klappt. Obwohl ein bestimmtes Alter schon gut ist, bevor man weggeht. 15 ist definitiv zu früh.

Haben Sie Ihre Familie nicht vermisst?

Nein. Ich hatte ja eine Ersatzfamilie. Richy Müller war eine Zeit lang mein Ersatzvater.

Der Schauspieler?

Ja. Als ich ihn kennen lernte, war ich 16 oder 17. Wir haben das Gleiche durchlebt, das auch richtige Väter und Söhne miteinander erleben. Bis dann auch da irgendwann die klassische Auseinandersetzung kam und ich sagte: Ich mach’ jetzt, was ich will. Eine Zeit lang waren wir deswegen richtig zerstritten.

Was haben Sie gemacht, nachdem Sie Ihrer alten Familie den Rücken gekehrt hatten?

Ich bin nach München gegangen und habe gleich meinen ersten Film gemacht. Dann bin ich nach Berlin gezogen, um nicht zum Bund zu müssen. Und dann bin ich hier hängen geblieben. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich so früh von Zuhause weg bin.

Sie bereuen es nicht?

Ich habe wahnsinnig viel Glück gehabt, dass ich an die richtigen Leute geraten bin. Das will ich aber weder meinen eigenen noch anderen Kindern zumuten. Aber wenn man 16 oder 17 ist, ist es vollkommen okay, aus der eigenen Familie auszubrechen, wenn man merkt, dass sie einem nicht gut tut. Nur, weil man seine Eltern liebt, muss man trotzdem nicht alles aushalten.

Welches Verhältnis haben Sie heute zu Ihrer Herkunftsfamilie?

Viele meiner Kindheitserinnerungen sind nicht schön. In der Familie schafft man sich immer solch einen Mikrokosmos von eigenen Verletzungen, eigenen Isolationsgefühlen. Und wenn man später, nach vielen Jahren, zurückkommt, verfällt man in die gleichen Verhaltensweisen wie damals als Kind.

Haben Sie noch viel mit Ihrer Familie zu tun?

Nicht mehr viel. Mein Vater ist tot. Meine Mutter und meine drei Geschwister – zwei Schwestern und ein Bruder – leben noch in Hamburg. Und wenn wir uns mal alle treffen, dann ist das immer schwierig.

Wieso?

Es gibt immer Konflikte. Ich bin da meist derjenige, der Unruhe stiftet. Mir ist dann völlig egal, ob wir jetzt eigentlich gerade friedlich einen Kaffee trinken wollten. Wenn wir zusammen sind, nutze ich oft die Gelegenheit, Dinge anzusprechen, die mich stören.

Zum Beispiel?

Manchmal alte Geschichten aus der Vergangenheit. Aber auch sehr oft Aktuelles – wie enttäuschte Erwartungen. Die Erwartungen, die man in einer Familie aneinander hat, sind ja komischerweise immer noch wahnsinnig groß. Aber bloß, weil man zufällig irgendwo reingeboren wurde, ist man doch nicht sein Leben lang für die anderen verantwortlich!

Was hält Ihre Mutter von Ihrer Arbeit?

Sie guckt sich meine Filme im Fernsehen an. Im Kino ist es ihr zu aufwändig. Eigentlich ist es ihr auch egal. Und mir eigentlich auch.

Ist einem das Urteil der Eltern nicht trotzdem immer noch wichtig, auch wenn man sich schon früh abgenabelt hat?

Nein, die Rückmeldung meiner Eltern war mir schon von früh an nicht mehr wichtig. Für alle Fragen, die ich in meiner Jugend hatte, waren ihre Antworten so unbefriedigend, dass ich schon bald nicht mehr wissen wollte, was sie von meinem Leben halten.

Welche Bedeutung hatte Ihr leiblicher Vater für Sie?

Er war in unserem Leben eigentlich gar nicht vorhanden. Er hat sein Leben lang sehr hart gearbeitet. Mit 15 stand er schon im Kohlebergwerk. Dann war er Kranfahrer, später Kellner. Und als er mal zwei Jahre lang arbeitslos war, hat er gleich mit 40 seinen ersten Herzinfarkt bekommen. Da ging’s abwärts, und nach dem fünften Herzinfarkt ist er gestorben. Vor sechs Jahren, da war er 58. Er hat sich totgeschuftet.

War er ein guter Vater?

Immerhin hat er uns alle ernährt. Das fand ich gut. Was Erziehung angeht, war es mit ihm nicht so gut. Aber ich merke, dass ich, je älter ich werde, umso mehr weiß, wo es bei ihm herkam. Er war einfach fertig. Eine Zeit lang hat er auch getrunken. Das Leben hat ihn kaputtgemacht. Da haben wir als Kinder keine Rolle gespielt. Das hat mir geholfen, früh selbständig zu werden. Das ist wichtig: Du musst dich abnabeln, bevor es zu spät ist.

Sie haben gemeinsam mit Ihrer Frau vier Kinder. Wie läuft das da mit dem Abnabeln?

Unser ältester Sohn Richy zum Beispiel, der ist 17 und geht seit vier Wochen auf ein Internat in England.

Tut es Ihnen weh, dass Sie ihn gehen ließen?

Ja. Das ist für mich und auch für seine Mutter ganz schlimm. Wir telefonieren täglich. Irgendwann hätte er sich sowieso abgenabelt. Und dann ist es mir lieber, er macht es so, als dass er’s übers Nachtleben macht.

Und Ihre anderen Kinder?

Wir haben aus früheren Beziehungen je einen Sohn und eine Tochter, die sind 13. Und unsere gemeinsame Tochter ist vier.

Nabeln sich die 13Jährigen auch schon ab?

Ja. Die haben in letzter Zeit immer mehr ihre eigenen Verabredungen. Die sind sehr mit sich selbst beschäftigt, was auch gut ist.

Und Sie als Eltern werden weniger wichtig?

Ja. Dafür genieße ich sehr, noch so viel Zeit mit der Kleinen zu verbringen. Ich könnte es schwerer ertragen, dass die Großen sich abnabeln, wenn die Kleine nicht da wäre.

Sind Sie etwa enttäuscht, dass ihre Kinder so selbständig sind?

Nein, aber man muss damit klarkommen, dass man älter wird und immer mehr in eine ähnliche Rolle gerät, wie der eigene Vater sie hatte. Als mein Vater gestorben ist, wurde mir zum ersten Mal bewusst: Ich bin jetzt die nächste Generation, die nachrückt.

Sie haben in den vergangenen Monaten teilweise mehrere Filme gleichzeitig gedreht. Haben Sie überhaupt genug Zeit für die Familie?

Ich versuche, zwischendurch immer Phasen freizuhalten, in denen ich nicht arbeite. Ich weiß aber auch, dass das ein Luxus ist. Ich habe eine zeitlang als Hilfskoch gearbeitet, und wenn du zehn Stunden in der Küche stehst, bleibt nichts mehr übrig für die Familie. Da bin ich wahnsinnig privilegiert.

Das Gespräch führte Lars von Törne .

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