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Berlin: Dunkle Rauchzeichen

Von Stefan Jacobs Mitte. „Mit 14 hab’ ich mir geschworen, dass ich mit 30 Millionär bin“, sagt Wolfgang Janke und sieht dabei nicht glücklich aus.

Von Stefan Jacobs

Mitte. „Mit 14 hab’ ich mir geschworen, dass ich mit 30 Millionär bin“, sagt Wolfgang Janke und sieht dabei nicht glücklich aus. Dann geht er die junge Frau bedienen, die gerade in den Laden gekommen ist – und mit ihr eine Wolke aus Pressluftgehämmer und Sandsturm. Janke reicht der Frau eine Packung Calumé-Zigaretten aus dem wandhohen Eichenholzregal von 1911 und sortiert die 2,55 Euro dafür in die Registrierkasse aus Dayton, Ohio, von 1920. „Dann wünsch’ ich gutes Rauchen.“ Die Kundin dankt, Janke geht durch den schummrigen Laden wieder an seinen Stehtisch, auf dem Kataloge, eine Zeitschrift ns „Pipe and Cigar“, ein Gameboy und ein Mahnbescheid vom Amtsgericht Hamburg liegen, und steckt sich eine Lord Extra an.

Wolfgang Janke ist 33 und so gut wie pleite. Vor vier Jahren hat er den Tabakwarenladen in der Chausseestraße, direkt neben dem Dorotheenstädtischen Friedhof, von seinem Onkel übernommen. Der hatte ihn von Jankes Großmutter, die ihn von ihrer Mutter hatte, die ihn von ihrer Mutter zum 21. Geburtstag geschenkt bekam. Das war 1911; Firmengründerin Hulda Junghans war Deutschlands erste Zigarrenmachermeisterin. 1897 gründete sie in Wedding eine Zigarrenfabrik. „Die fiel in den 20ern der Weltwirtschaftskrise zum Opfer. Meine Ururgroßmutter starb kurz danach, weil sie das nicht verkraftete“, sagt Janke und drückt die Zigarette aus. Es dürfte etwa die Hundertste in dem großen Aschenbecher sein, den er seit drei Tagen nicht mehr geleert hat. Der Aschenbecher ist auch so ein Zeichen. Wie der Spruch auf der Internetseite des Ladens: Öffnungszeit von 10 bis 18 Uhr, „wenn die Kundschaft es nicht anders wünscht“. Jetzt schließt Janke meist schon gegen fünf ab. Auch lässt er Sakko und Krawatte neuerdings oft weg.

Kurz nach Himmelfahrt waren die Bauleute angerückt, hatten die Straße aufgerissen und den halben Gehweg blockiert. Seitdem ziehen Sandstürme vorbei, aber kaum noch Menschen. An schlechten Tagen macht Janke 50 Euro Umsatz, an sehr schlechten 20; die guten Tage sind vorbei. Jankes Laden dürfte einmalig in Berlin sein: Fidel Castro war schon hier, um zu schauen, wo die Zigarren aus seiner Heimat bleiben. Einmal kam der ägyptische Präsident vorbei, Bertolt Brecht und der frühe Manfred Krug gingen ein und aus. Regale aus fünf Meter langen Eichenbrettern, die auch nach 91 Jahren noch fit aussehen. 3000 Goldmark hat Hulda Junghans dafür bezahlt. Alles passt und hält ganz ohne Nägel oder Schrauben. In den Fächern hinter dem Tresen stapeln sich bunte Tabakdosen mit Aufschriften wie „Handmade in the Dominican Republic“. In Vitrinen gegenüber den Tabakdosen liegen Pfeifen: runde, eckige, ovale, matte, glänzende. Allmählich legt sich eine Staubschicht über die edlen Stücke. Janke könnte lange über die Maserung schwärmen und erklären, wie die Pfeifen eingeraucht werden müssen. Nur fragt ihn selten jemand. Auch die Promis sind selten geworden. Wolfgang Janke lehnt noch immer am Stehtisch und grübelt, ob er doch mal wieder Staub wischen sollte. Es ist Mittag, fünf Kunden waren da, drei davon haben etwas gekauft. Kein besonders schlechter Tag heute.

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