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Berlin: Dunkle Seiten

Seine Comics sind preisgekrönt. Er verbindet Trash und hohe Literatur, Berliner Club-Leben und Horror. Jetzt hat Reinhard Kleist ein paar neue Bücher vorgelegt

Von Lars von Törne

Berlin kann so düster sein. In Reinhard Kleists Welt ist der Himmel meistens dunkel, Häuser und Hinterhöfe sind grau, über allem liegen schwarze Schatten. Dieser Künstler muss wahrlich ein schweres Gemüt haben, denkt man beim Betrachten der meist schwarz-weißen Bildgeschichten. Weit gefehlt: Beim Atelierbesuch in der Kastanienallee in Prenzlauer Berg entpuppt sich Reinhard Kleist als so freundlich und entspannt, dass der charmante Eindruck, den der 32-Jährige macht, nur schwer in Einklang mit seiner Vorliebe für die dunklen Seiten des Lebens zu bringen ist. „Vielleicht bin ich einfach zu sonnig und behütet aufgewachsen“, mutmaßt der 32-Jährige mit dem fröhlichen Gesicht und den raspelkurzen Haaren. Schon seit seiner Kindheit im Rheinland hätten ihn düstere Charaktere am meisten fasziniert, sagt er, während er einen Stapel Comic-Hefte auf dem Zeichentisch beiseite schiebt, um Platz für die Kaffeetassen zu schaffen: „Bei Krieg der Sterne war meine Lieblingsfigur immer Darth Vader.“

Die Vorliebe für dunkle Helden zieht sich bis heute durch sein Werk. So erzählt das in der Club-Szene der Neunziger angesiedelte Berlin-Epos „Fucked“ die dramatische Geschichte von vier Menschen, in deren Alltag ein mysteriöser Fremder tritt, der ihre Träume verwirklicht und so ihr Leben durcheinander wirbelt. Die Handlung entwickelt sich von einer Beziehungsgeschichte zum spektakulären Underground-Krimi, in dessen Verlauf unter anderem das Sony-Center in die Luft gesprengt wird. Bei diesem Buch, an dem er vier Jahre lang gearbeitet hat, zeigt sich Kleist nicht nur als begabter Erzähler, der es schafft, die Nibelungengeschichte und den Zeitgeist Berlins der späten Neunziger zu verbinden. Er ist auch Chronist der Untergrund-Kultur jener Jahre. Außerdem gewährt das Buch einen Einblick in das Leben des Zeichners. „Ich habe mir viel von der Seele geschrieben“, sagt Kleist. Beziehungsgeschichten, die erfolglose Suche nach dem einen Menschen, der einem alle Träume erfüllt – all das hat er selbst erlebt. Auch die Orte sind authentisch: Das Kreuzberger „SO36“ ist nach wie vor sein Lieblingsclub, im „Planet“, der alten Fabrik in Mitte, hat er viele Nächte durchgefeiert. Und die Hinterhof-Bude einer Comic-Figur entspricht genau der Wohnung, in der Kleist wohnte, als er 1996 nach dem Grafikdesign-Studium aus Münster nach Prenzlauer Berg zog. Inzwischen wohnt er in einer WG in einem ehemals besetzten Haus in der Kastanienallee. Sein helles Atelier ein paar Häuser weiter teilt er sich mit den Zeichnern Fil („Didi und Stulle“), Mawil und Andreas Michalke (siehe unten). Sein eigenes Leben dient Kleist heute kaum noch als Inspiration. Dafür fehlt der Leidensdruck: „Ich fühle mich gesetzter und zufriedener als vor ein paar Jahren.“

Die besondere Zuneigung zu dem amerikanischen Horror-Schriftsteller H.P. Lovecraft ist dennoch geblieben. „Seine Geschichten sind großartig geschriebener Trash.“ Mit einer ersten Verarbeitung von dessen albtraumhaften Fantasien wurde Kleist vor ein paar Jahren schlagartig bekannt. Das künstlerisch sehr anspruchsvolle Album „Lovecraft“, gemeinsam mit Co-Autor Roland Hueve geschrieben und beim renommierten Ehapa-Verlag verlegt, bekam 1996 den Max- und Moritz-Preis, den Oscar der deutschen Comicszene. Jetzt hat Kleist eine Sammlung weiterer Geschichten nach Lovecraft vorgelegt: „Das Grauen im Gemäuer“. In vier Episoden erzählt er von Alpträumen, Monstern und furchterregenden Kreaturen. Am stärksten ist das Buch in den Momenten, in denen der Horror den Hauptfiguren nicht von außen begegnet, sondern aus ihnen selbst herausbricht, so wie in der Story „Die Ratten im Gemäuer“, in der ein Mann von seinem Wahnsinn schier zerfressen wird. Im Gegensatz zu früher ist Kleists Stil klarer und stringenter geworden, die Ästhetik erinnert an expressionistische Stummfilme der 20er Jahre.

Kleists jüngstes Projekt, an dem er im Moment zeichnet, ist wieder stärker in Berlin angesiedelt. „Scherbenmund“ ist eine Vampirgeschichte, die in einem halbfiktiven Berlin zwischen 1918 und ferner Zukunft spielt. Seinen Lebensunterhalt verdient er indes nicht mit dem Comiczeichnen, sondern mit Zeichenkursen und Werbeillustrationen. So hat er kürzlich eine Versicherungsbroschüre bebildert. Auch dort ist Schwarz die dominante Farbe: „So weit sind Lovecraft und Autoversicherungen dann doch nicht auseinander.“

„Das Grauen im Gemäuer“, Verlag Edition 52, 12 Euro. „Fucked“, Reprodukt, 18 Euro. „Paul“, Edition 52, 5 Euro. „Steeplechase“, Reprodukt, 3 Euro. Noch erhältlich: „Lovecraft“ und „Dorian“, Ehapa, je 20 Euro 40. Infos: www.reinhard-kleist.de

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