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Berlin: Durch Beugehaft das Schweigen brechen

Gerichte wägen ab, wie wichtig Zeugenaussage ist

Von Sabine Beikler

Sie sieht den mutmaßlichen Täter vor Gericht wieder – und die Angst vor weiteren Schlägen ist erneut da. Fatma B. hatte am Montag vor Gericht die Aussage verweigert: Sie soll von ihrem Ex-Freund schwer misshandelt worden sein. Durch ihre Aussagen bei der Polizei sitzt der Ex-Freund in Untersuchungshaft. Doch Fatma B. ließ sich vom Vorsitzenden Richter nicht zu einer Aussage bewegen: Er verhängte gegen sie Beugehaft. Eine hartherzige Entscheidung? Wie weit können Gerichte mutmaßlichen Opfern und ihrer Angst vor Konsequenzen nach einer Aussage entgegenkommen?

„Alle Zeugen sind grundsätzlich verpflichtet, vor Gericht auszusagen“, sagt Arnd Bödeker, Pressesprecher der Berliner Strafgerichte. Ausnahmen bestehen nur, wenn sich Zeugen auf ein Zeugnisverweigerungs- oder Auskunftsverweigerungsrecht berufen können: Das gilt für Verwandte, Verlobte und für Zeugen, die sich durch ihre Ausssage selbst belasten würden. „Liegt das nicht vor, muss ausgesagt werden“, sagt Bödeker. „Die Gerichte sollen die Wahrheit finden und sind auf Zeugenaussagen angewiesen.“

Hat ein Zeuge Angst, direkt vor dem Angeklagten auszusagen, können Angeklagte oder die Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung ausgeschlossen werden. Das wurde Fatma B. vom Vorsitzenden Richter auch angeboten. Als äußerstes Rechtsmittel hat das Gericht die Möglichkeit, nach Paragraph 70 Strafprozessordnung Erzwingungshaft, umgangssprachlich Beugehaft, zu verhängen. „Der Richter hat genau abzuwägen, wie wichtig eine Aussage für den Verlauf eines Prozesses ist. Beugehaft ist die ultima ratio“, sagt Bödeker. Die Beugehaft darf längstens für ein halbes Jahr angeordnet werden. Dadurch soll der Zeuge zu einer Aussage gebracht werden. Fatma B. hat am nächsten Prozesstag am Montag erneut die Gelegenheit auszusagen.

„Die Gerichte nehmen auf die Ängste der Zeugen Rücksicht“, sagt die Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates. In Extremfällen wie bei einer Zeugin im Sürücü-Prozess können die Ermittlungsbehörden Zeugen sogar in ein Schutzprogramm aufnehmen und ihre Identität verändern. „Bei häuslicher Gewalt aber ist ein Opferschutz leider nicht gegeben“, sagt Ates. Viele Frauen hätten Angst, dass der Täter nach Verbüßung seiner Strafe Rache übt.

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