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Berlin: Eddie Bader (Geb. 1953)

„Stellt euch vor, ihr seid wandelnde Kioske.“

Jeden Abend um sechs stand im Hof des Tagesspiegel-Verlagshauses ein molliger Mann mit zauseligem Bart, gewitzten Augen und kräftiger Stimme: „Folien und Bänder in die Tonne und nicht auf die Erde!“

Das war Eddie Bader, der die frisch gedruckten Zeitungen entgegennahm und verteilte.

Vor sehr vielen Jahren hatte er mal Rolf-Detlev geheißen. Aber seit jenem Tag, an dem er als Schüler mit knallrotem Edding den Namen der Rockband „Eddie Hardin“ auf seine Tasche schrieb, hatte „Rolf-Detlev“ in jeder Hinsicht ausgedient.

Eddie Bader war der, der den Nachtverkauf des Tagesspiegels und anderer Zeitungen organisierte. Der sich über den Stadtplan beugte und mit seinem druckerschwarz gefärbten Zeigefinger auf die Stellen tippte, wo neue Kneipen oder Veranstaltungsorte eröffnet hatten. „Stellt euch vor, ihr seid wandelnde Kioske, unterwegs zu den verschiedenen Momenten des Lebens“, wies er seine Leute ein. Und die schoben ehrfürchtig nickend ihre Zeitungen in die großen Umhängetaschen. Was Eddie sagte, klang immer gut. An die fünfzig Verkäufer beschäftigte er, Leute unterschiedlichster Herkunft und mit bewegten Biografien, Menschen, die bei zwanzig Cent Trinkgeld echte Dankbarkeit überkam.

Ursprünglich war die Arbeit mit den Zeitungen ein Job, mit dem Eddie sich sein Jura-Studium finanzieren wollte. Die Juristerei machte ihm Spaß, Eddie konnte sich für alles begeistern, das im Verdacht stand, mit Gerechtigkeit zu tun zu haben. Aber bei seiner Tätigkeit in einer Anwaltskanzlei während des Studiums kam wenig Freude auf. Die Geschichten seiner Zeitungsverkäufer, das Arbeiten unter dem Nachthimmel, all das war ihm dann doch lieber als ein Leben in Schlips und Kragen hinterm Schreibtisch, so erzählte er immer wieder.

Doch gab es da noch einen anderen Grund, weshalb er an diese Arbeit seine ganze Existenz gehängt und das Studium abgebrochen hatte.

„Yö“, hieß Eddies finnische Lieblingsband, „Nacht“. In einer finnischen Nacht hatte Eddie Marita getroffen. Da war er Anfang zwanzig und unterwegs durch nördliche Länder. „Ich komme wieder“, versprach er Marita am Ende dieses Sommers. Ein Jahr später stand er vor ihrer Tür, Pralinen und Blumen in den Händen, die Sprache der Liebsten beinahe akzentfrei im Munde. Als Marita wenig später schwanger wurde, setzte sie sich in Eddies alten Mercedes und fuhr mit ihm nach Deutschland. Acht Jahre lebten sie zusammen in Berlin. Dann kam die Nacht, die Eddie seine Marita wieder nahm, die Nacht, in der das Kind bei den Großeltern schlief, und in der die gemeinsame Wohnung brannte.

Eddie heftete der Tochter einen Zettel mit einer Telefonnummer an die Pinnwand, unter der sie ihn immer erreichen konnte. „Jetzt müssen wir zusammenhalten.“ Wenn andere Feierabend machten, zog er los, mit den Nachrichten von morgen sein Geld zu verdienen, zunächst beim Springer-Verlag, später dann beim Tagesspiegel, in dessen Auftrag er die lebendigen Kioske betreute und selbst oft mit einer großen Umhängetasche vor der Philharmonie stand. In den frühen Morgenstunden kehrte er heim, schmierte dem Kind die Frühstücksbrote, schlief am Vormittag, und mittags stellte er Gulaschsuppe oder anderes frisch Gekochtes auf den Tisch.

Auch zwei von Eddies drei Geschwistern und seine Eltern starben in den folgenden Jahren. Je heftiger der Tod sich in sein Leben schob, desto inniger wandte Eddie sich den Menschen zu, die ihn umgaben. Tagsüber war das „Kind Bader“, seine Tochter, nachts war es die Verkaufstruppe. Es kam vor, dass er jemandem seine Umsätze zurückgab, damit der sich eine neue Hose kaufen ging, dass er seine Jura-Kenntnisse ausgrub und half, Protestbriefe gegen eine Mieterhöhung aufzusetzen,

Der Lohn lag in den Freundschaften, weniger im Geld. Das hieß: Strenger Blick, wenn Kind Bader sich neue Schuhe geleistet hatte. Überhaupt feilte Eddie kaum an seiner Erscheinung. Seinen dicken Schlüsselbund trug er an einem Band um den Hals, und seine T-Shirts besorgte er sich am liebsten auf Flohmärkten in Finnland.

Finnland. Wenn Eddie Bader sich mal zurückzog, dann hierher. Auf einem Grundstück, das er zusammen mit seinen Schwiegereltern gekauft hatte, baute er eine Hütte, seine „Mökki“: Zwei Zimmer, kein Bad. Klein, aber gemütlich, so wie Eddie es liebte und wie es auch Marita geliebt hätte.

„Wollen wir ihn zum Schluss einmal selbst sprechen lassen?“ Eddies Tochter drückt auf ihren Anrufbeantworter. „Hallo Kind Bader, icke bins! Ick war in Polen heute. Da warick mit mei’m FAZ-Verkäufer.“ Eddie redet und redet. Erzählt von einer Katze mit weißen Pfoten, die ihm die Wurst aus der Einkaufstüte geklaut hat. „Höhö.“ Was er redet ist ganz egal, auf die Stimme kommt es an: warm, tröstend und immer kurz vorm Lachen.

Eddie Bader starb an einem plötzlichen Herzinfarkt. Eine Stunde lang hat man versucht, ihn zu reanimieren. „Er wollte lieber ganz gehen, als krank zurückzukommen“, glaubt seine Tochter. „Jut, dit war’s soweit. Heut’abend machick Philharmoniker. Also, ick mach’ ma ’n Nickerchen. Bis de-henn!“ Anne-Jelena Schulte

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