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Berlin: Edgar Mädlow (Geb. 1921)

Astronom hätte er werden müssen

Von Julia Prosinger

Er war sich nicht sicher, ob er diese Rede durchstehen würde, 20 Minuten. Würden seine Beine, würde seine Stimme tragen? Sein Leben lang war Edgar Mädlow ein großer Redner gewesen. Selbstbewusst, frei hat er gesprochen, egal wie groß sein Publikum war. Jetzt hatte Mädlow seine Worte aufgeschrieben, zum ersten Mal. „Damit ihr sie, wenn ich es nicht schaffe, verlesen könnt.“ Februar 2012, Mädlow ist 90. Er soll eine Laudatio halten für einen ehemaligen Kollegen.

Mädlow tritt ans Pult im Planetarium der Wilhelm-Foerster-Sternwarte. Generationen von Amateurastronomen, Kindern, Jugendlichen hatte er hier gezeigt, woraus die Milchstraße besteht, was die Sommerzeit bedeutet. Er hatte ihnen die Sterne vom Himmel geholt.

1921 war er in Berlin-Tiergarten zur Welt gekommen. Er wuchs auf in einer Zeit, in der Kinder Bruno Bürgels „Aus fernen Welten“ lasen, worin ihnen das Universum erklärt wurde. In der viele abends den Kopf zum Himmel streckten, weil Berlin noch nicht so hell war wie heute und man die Sterne noch sehen konnte, und weil es keine Fernseher gab. Mit 16 wurde Mädlow Mitglied der „Himmelskundlichen Arbeitsgemeinschaft“ an der Treptower Sternwarte.

Abends beobachtete er, wie die Sterne am Himmel ihren Platz einnahmen, sich zur Milchstraße, zum großen Wagen, zum Orion zusammenfügten. Aber Mädlow war nicht nur Genießer. Was er sah, schrieb er auf, damit auch andere es sehen konnten. Damit andere später damit arbeiten konnten. Mädlow hätte Astronom werden müssen.

Doch weil seine Mutter Jüdin war, durfte er nicht studieren. Stattdessen lernte er bei seinem Vater Netzmacher und wurde Kaufmann in einem Fischereibedarf. Das war nicht sein Himmel.

Wann immer er konnte, fuhr er zur Sternwarte. Nach dem Krieg arbeitete er dort als wissenschaftlicher Leiter, ehrenamtlich. Nach den Sternen zu schauen, war damals noch nützlich. Wenn es etwa Polarlichter gab, meldeten die Warten es der Feuerwehr, damit sie nicht irrtümlich zum Löschen ausrückte. Wer in diesen Zeiten ein Fernrohr besaß, zeigte für einen Groschen den Mond; der war schöner als die Ruinen der Stadt.

Das fand auch Marlene Schubert und fuhr für den Blick auf die Sterne zwei Stunden von Spandau nach Treptow. Dort leitete Mädlow inzwischen die Arbeitsgemeinschaft. Marlene, 18-jährig, eines der wenigen Mädchen, erkannte zunächst keinen Unterschied zwischen den milchigen Streifen auf dem Jupiter. Mädlow zeigte sie ihr. Jahre später heirateten die beiden. Und Marlene wurde Astrophysikerin.

1957 gewährte der Staat Mädlow eine Wiedergutmachung. Davon wollte er studieren. 1000 Euro hatte er im Semester, seine Frau musste ihn unterstützen. Mädlow konnte das ertragen.

Er suchte nach einem Fach, das mit dem Blick zum Himmel zu tun hatte, nur keine Theologie. Das Studienangebot in West-Berlin erlaubte schließlich nur Meteorologie. Die Führungen durch die Sternwarte machte er während des Studiums weiter.

Auch später, als Mädlow längst am Meteorologischen Institut der FU arbeitete, und die Treptower Sternwarte hinter der Mauer stand, blieb er im Herzen Sternegucker. Wenn der Wilhelm-Foerster- Sternwarte in Steglitz das Geld für Publikationen fehlte, gab er ein privates Darlehen. Er reiste den Sonnenfinsternissen entgegen, auf die Kanarischen Inseln, nach Jugoslawien. Wenn die Schwiegereltern Abendbrot essen wollten, aber ein Komet sich angekündigt hatte, stand Mädlow im Garten und schaute nach oben. Im Juni 1975 hat er so eine Nova entdeckt, einen Stern, der neu am Himmel erschien. Mädlow rief sofort die Sternwarte an; nun konnten andere daran forschen.

Als er Vater wurde, blieb weniger Zeit für den Himmel. Mädlow erklärte seinen Söhnen auch die Erde: die Geschichte Berlins oder wie aus einer alten Kartoffel viele neue werden. Wenn sich seine Söhne ein paar Minuten zu spät im Auto einfanden, wurde er ärgerlich: „Warum können wir uns nicht exakt um acht treffen?“ Sterne lassen sich berechnen, Kinder nicht.

1986 ging Mädlow in den Ruhestand, er verbrachte jetzt keine Nächte mehr an der Sternwarte. Dafür saß er mit seiner Frau im Garten. Gemeinsam warteten sie, bis die Sterne am Himmel auftauchten, einfach so, ohne jeden wissenschaftlichen Mehrwert.

Manchmal schrieb Mädlow lange Briefe an seine Freunde in der Wilhelm-Foerster-Sternwarte. Er bat sie, das Ursprüngliche nicht zu vergessen: einen Saturnring durchs Fernrohr zu betrachten oder die verschwindenden Jupitermonde, das „Grundsatzastronomische“, wie er es nannte. Mit den Shows, die das Planetarium zum Geldverdienen veranstaltete, konnte er nichts anfangen. Was hatte das mit den Sternen zu tun, wenn der Besucher bei „Voices in the dark“, über leuchtende Inseln flog und in Schachbrettwelten eintauchte?

Die Rede für den Kollegen hielt Mädlow, von Anfang bis zum Ende. Den ganzen Abend stand er durch. Fünf Tage später, am 16. Februar, starb Edgar Mädlow. Julia Prosinger

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