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Berlin: Edith Bischoff (Geb. 1922)

Vom Osten in den Westen in den Osten

Kompromisslos ist das treffende Wort. Edith Bischoff war kompromisslos. Gerade zu Zeiten, in denen andere die Hände vor Augen, Ohren und Münder hielten.

Mit zwölf fiel Edith zum ersten Mal auf: Sie trat, als Einzige in ihrer Klasse, nicht dem BDM, dem nationalsozialistischen „Bund Deutscher Mädel“ bei. Zu Hause ging es zwar oft ärmlich zu, die Eltern hatten während der Weltwirtschaftskrise alles Geld, das Haus und den Garten in Petershagen verloren, aber sie brachten der Tochter bei, dass man sich Unrecht und Dummheit widersetzen muss.

Vom Grünen zog die Familie in ein graues Hinterhaus in der Nähe der Frankfurter Allee. Noch war Berlin intakt, bunt, verrückt, weltstädtisch. Die Mutter führte die Tochter ins Theater, in die Oper. Wieder zurück in der engen Wohnung summte und sang Edith die Melodien weiter, hätte das Singen so gern richtig gelernt, für eine Ausbildung aber gab es kein Geld. Sie ging auf eine Handelsschule. Und bekam ein Kind. Von einem Mann, der kein guter Ehemann, kein guter Vater war, von dem sie sich scheiden ließ, ohne einen Pfennig zu fordern, sie wollte nur weg von ihm, schnell und ohne Kompromisse.

Berlin brannte jetzt. Edith floh mit ihrer kleinen Tochter und der Mutter nach Bad Liebenwerder, 150 Kilometer südlich. Den Heimweg, 1945, gingen die drei zu Fuß, hinter sich herziehend einen Bollerwagen, auf den alles passte, was sie noch besaßen.

Edith hatte Glück, musste nicht allein das Kind aufziehen. Ihre Eltern halfen, Edith konnte arbeiten, stieg sogar auf in ihrem Beruf, wurde erst Direktionsassistentin, dann Messeleiterin in der Akademie der Wissenschaften, Ost-Berlin. Sie betreute Messestände in Island und Marokko, im westlichen Ausland, eine Gefahrenzone für die sozialistischen Funktionäre. Regelmäßig warb die SED um sie, Edith lehnte beharrlich ab.

Eines Tages lernte sie Horst kennen. 17 Jahre hatte er in Gefängnissen gesessen. 17 Jahre in Hohenschönhausen und Bautzen, weil er Flugblätter verteilt hatte. Als er rauskam, nahm er wieder an einer politischen Aktion teil, wurde ein zweites Mal verhaftet und dann in die Bundesrepublik abgeschoben. Edith zögerte nicht lange und ging mit ihm.

In Niedernhausen bei Wiesbaden eröffneten die beiden einen Tante- Emma-Laden. Hin und wieder besuchte Edith ihre Mutter, die Tochter und den Enkelsohn in Ost-Berlin. Aus ihr war eine Westoma geworden, die Westpakete schickte. Und Horst? Horst war unruhig. Er wollte etwas von seiner Jugend zurück. Er ging. Edith holte ihre alte Mutter zu sich, pflegte sie. Die Mutter starb, Edith war allein.

1981 meldete sie sich bei der zuständigen Behörde: „Ich möchte zurück in die DDR.“ Im Westen glaubte man, es handle sich um einen Scherz, im Osten, es stecke etwas Staatsfeindliches dahinter. Edith blieb hartnäckig. Und durfte zurück, nach Ost-Berlin.

Ihr Leben wurde ruhiger, sie spürte immer häufiger ihren Körper. Was hältst du von einem Altersheim, fragte die Tochter. Nichts, antwortete Edith mit Nachdruck. Und zog in eine altersgerechte Wohnung. Mit einer befreundeten Dame fuhr sie einmal im Jahr an die Ostsee. Hörte Elvis. Sang die Lieder aus Kindheitstagen. Jodelte, so ausgezeichnet, dass die Leute sich fragten, wie das möglich sein konnte, da sie doch niemals in den Bergen war. Sie ließ sich beim Friseur die Haare schön machen, bei der Maniküre die Nägel. Legte ihren eleganten Schmuck an. Von Zeit zu Zeit holte sie die alten Fotografien heraus, Schwarz- Weiß-Aufnahmen aus Jugendtagen, erschienen auf den Titelseiten von Modemagazinen: Edith im Petticoat, Edith mit Blumenhut, Ediths schönes ebenmäßiges Gesicht, wie das eines Ufa-Stars.

Sie wurde alt, aber weder starrköpfig noch griesgrämig noch wunderlich. Nur ein wenig milder und schwächer. Dann brach der Oberschenkel. Und mit ihm vielleicht der Lebenswille. Es gab keinen Grund mehr zu beharren. Sie ging. Tatjana Wulfert

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