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Die Abhängigkeit von Hartz IV ist in keiner Migrantengruppe so groß wie bei den Libanesen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ehemalige Flüchtlinge: Auf Hartz IV abonniert

Ehemalige Flüchtlinge aus dem Libanon bleiben über Generationen abhängig vom Staat. Als wichtiger Grund gilt das Arbeitsverbot für geduldete Flüchtlinge.

Arbeit und Bildung gelten als Schlüssel zur Integration in die Gesellschaft. Wie gut es Migranten gelingt, sich einzuleben kann man auch daran erkennen, in welchem Maße sie von staatlichen Transferleistungen unabhängig werden.

Vor 25 Jahren stellten Flüchtlinge, die dem Bürgerkrieg im Libanon entfliehen wollten, die größte Gruppe der Asylbewerber. Die heute in der Stadt lebenden Libanesen stammen fast alle aus Flüchtlingsfamilien, sagt Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin. Viele von ihnen sind heute noch auf staatliche Unterstützung angewiesen – laut der Regionaldirektion für Arbeit sind es knapp 10 300 Menschen mit libanesischem Pass, die Leistungen nach Hartz IV beziehen. Wie hoch allerdings die Quote der Leistungsbezieher ist, lässt sich nicht genau sagen, da die Daten des Landesamtes für Statistik und der Arbeitsagentur sich widersprechen. Laut Melderegister gibt es in Berlin nämlich nur 7114 libanesische Staatsbürger. Dieser Widerspruch ließ sich am Dienstag nicht klären. Dennoch sprechen die Zahlen dafür, dass die prozentuale Abhängigkeit von Hartz IV bei keiner anderen Migrantengruppe von staatlichen Leistungen so hoch ist wie bei den Libanesen. Bei den Türken, die allerdings vor allem als Arbeitsmigranten kamen, nennt die Arbeitsagentur zwar rund 56 000 Hartz-IV-Bezieher, das Statistische Landesamt hat 105 000 Türken hier registriert. Von den rund 40 000 Polen erhalten etwa 9000 Hartz IV.

Der Leiter der psychotherapeutischen Beratungsstelle Xenion für Flüchtlinge, Dietrich Koch, sagt, die Libanesen gehörten zu der Gruppe von Flüchtlingen, auf die sich die Politik der letzten Jahrzehnte „besonders fatal“ ausgewirkt habe. Ein wichtiger Grund für die hohe Erwerbslosenquote unter ihnen sei das Arbeitsverbot für geduldete Flüchtlinge. Man wisse aus Studien über deutsche Langzeitarbeitslose, dass die Wiedervermittlung nach langer Arbeitslosigkeit „nahezu unmöglich“ wird, sagt Koch. Das habe etwas mit dem „strukturlosen Tagesablauf“ zu tun und dem frustrierenden Gefühl, nicht gebraucht zu werden. „Auf Dauer ist das sehr schädlich“, sagt Koch.

Für Flüchtlinge aus dem Libanon habe sich mit dem Arbeitsverbot ihre Situation im Libanon fortgesetzt, wo sie – in Flüchtlingslagern – ebenfalls nicht arbeiten durften, sagt Classen. Auch der prekäre Aufenthaltsstatus habe sich verheerend auf die Psyche der Menschen ausgewirkt. „Schließlich sind sie ja auch alle traumatisiert durch den Krieg im Libanon“, sagt Flüchtlingsexperte Classen.

Auch in den Jobcentern erzählen Fallmanager, wie sich diese Entwicklung auf die nachwachsenden Generationen auswirkt. Sie berichten von libanesischstämmigen Jugendlichen, die nie kennengelernt hätten, dass ihre Eltern arbeiten gingen. Ihnen fehlten schlicht die Vorbilder, auch selber für ihren Lebensunterhalt sorgen zu wollen. Oftmals seien die Schulkinder die Einzigen in der Familie, die regelmäßig am Morgen aufstehen. Die Abhängigkeit von staatlichen Leistungen setze sich so über Generationen fort. Dies bringt auch weitere gesellschaftliche Probleme mit sich. Bei den Intensivtätern sind libanesische Jugendliche überproportional vertreten. Zudem machen immer wieder kriminelle Familienclans Schlagzeilen. Sigrid Kneist/Karin Schädler

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