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© Kitty Kleist-Heinrich

Ehrenamt: Freundin für ein kleines Leben

Sie ist da für sterbenskranke Kinder, sie gibt verzweifelten Eltern Trost: Helga Schneider ist freiwillige Helferin in einem Hospiz.

Kinder spüren, wenn sie sterben, sagt Helga Schneider. Sie verschenken ihr Fahrrad oder ihren Teddy. Sie gehen davon aus, dass die toten Großeltern oder der Hund, der gestorben ist, auf sie warten. Und sie versuchen, ihre Eltern zu trösten und ihnen den Abschied zu erleichtern.

Darum bemüht sich auch Helga Schneider. Die frühere Kinderkrankenschwester und Lehrerin für Heil- und Pflegeberufe engagiert sich ehrenamtlich im „Berliner Herz“, einem ambulanten Hospiz für junge Menschen. Die Mitarbeiter der Einrichtung in Mitte begleiten schwer kranke Kinder und ihre Eltern – oft bis zum Tod der Kinder. „Viele Familien in einer solchen Situation können einfach nicht mehr“, sagt Helga Schneider. „Wir sind da, um ihren Alltag erträglicher zu gestalten.“

Seit vier Jahren kümmert sich die 70-Jährige etwa um Julia und Veronique. Bei beiden war nach der Geburt fraglich, ob sie überleben würden. Helga Schneider, die lange auf der Frühgeborenenstation gearbeitet hatte, betreute sie von Anfang an. Sie wusste, was zu tun war, wenn eines der Mädchen kaum mehr Luft bekam. Sie erklärte den Eltern die Diagnosen der Ärzte, als Julia immer wieder am Gehirn operiert wurde. Und sie wird dabei sein, wenn eine der beiden Vierjährigen wieder ins Krankenhaus muss. „Es bedeutet uns sehr viel, dass sie für uns da ist“, sagt Lukasz Pietrasek, der Vater der Mädchen. „Wir haben immer jemanden, mit dem wir reden können. Und sie gibt uns Sicherheit.“

Selten entwickeln sich die von Helga Schneider betreuten Kinder dabei so gut wie Julia und Veronique: Die beiden körperlich und geistig behinderten Mädchen sind gesundheitlich einigermaßen stabil und gehen momentan in eine Integrationskita für behinderte und nichtbehinderte Kinder.

Meist aber sind die Patienten unheilbar krank. Anfangs fällt vielleicht nur auf, dass es mit dem Dreiradfahren nicht vorangeht, sagt Helga Schneider. Und dann, wenn die Diagnose klar ist und keine Hoffnung lässt – ein Hirntumor etwa oder Erkrankungen, bei denen sich die Muskeln zurückbilden – leben die Kinder und Jugendlichen mit ihrer Krankheit oft noch Jahre. In dieser Zeit ist Helga Schneider bei ihnen, einmal die Woche meistens, und wenn es sein muss, auch jeden Tag.

Helga Schneider spricht ganz ruhig und sachlich über die Krankheiten; sie kennt sie. Wenn es den Eltern zu schwer fällt, erklärt sie den gesunden Geschwistern, dass Bruder oder Schwester bald nicht mehr da sein werden. „Vielleicht“, sagt sie, „gehört der Tod für mich eher zum Leben als für andere.“ Und vielleicht braucht es jemanden wie Helga Schneider, die Jahre jünger wirkt als sie ist, und zufrieden von ihrem eigenen Leben erzählt, um die Dramen der Familien auszuhalten.

Sie ist im Saarland aufgewachsen, und eigentlich, sagt sie, wäre sie gern Schauspielerin geworden – undenkbar jedoch für ihre Familie. Aber sie mochte die Ehrlichkeit von Kindern. Und als sie selbst noch ein Kind und ihr Vater im Krieg war, erinnert sie sich, habe sie viel Unterstützung von anderen Menschen erfahren: „Ich glaube, ich bin Kinderkrankenschwester geworden, um etwas davon zurückzugeben.“

Zehn Familien hat Helga Schneider betreut, seitdem sie pensioniert ist und sich in der Hospizarbeit engagiert. Fünf Jahre kümmerte sie sich zuletzt um ein Mädchen, das im Alter von 15 starb. Sie saß an ihrem Bett, las vor, linderte den Husten. Und zugleich gab sie den Eltern und gesunden Geschwistern Zeit füreinander, für einen Tag im Grünen etwa. „Familien brechen häufig auseinander“, sagt sie, „wenn ihr Alltag vom Sterben eines Kindes bestimmt wird.“

Helga Schneider selbst hat keine Kinder. Mal hat sie in Hamburg gearbeitet und mal in Berlin. Sie war mit Entwicklungshelfern in Thailand und erst vor vier Jahren in Indien. Sie hat die Neuköllner Bürgerstiftung mitbegründet, die Projekte im Kiez organisiert, und sie lebt als Single in einem generationsübergreifenden Wohnprojekt in Lichtenberg. „Mir geht es gut“, sagt sie, „ich bin aktiv. Und ich habe Zeit, um etwas Sinnvolles zu tun“.

Die Abschiede von den Kindern werden nicht einfacher, nur weil es mehr werden. „Aber sie tun mir nicht so maßlos weh wie den Eltern“, sagt Helga Schneider. Auch sie braucht jedoch eine Auszeit, wenn es zu Ende ist. Dann fährt sie nach Rügen oder in den Spreewald, wo ihr Wohnwagen steht. Oft suchen Eltern nach dem Tod des Kindes noch einmal das Gespräch oder schicken auch Jahre später noch Karten. Manche jedoch brechen den Kontakt ab, um Abstand zu gewinnen. Wie auch immer sich die Familie entscheidet: „Was hilft, ist richtig“, sagt Helga Schneider.

Ihr ist wichtig, die Kinder ihren Weg zu Hause und in Würde gehen zu lassen. Es sei nur schwer zu ertragen, wenn mit aller Kraft an lebensverlängernden Maßnahmen festgehalten werde – obwohl das für den Sterbenden eine Qual bedeutet. „Das Letzte, was die Kinder von dieser Welt mitnehmen, sollte keine Herzmassage sein“, sagt Helga Schneider. „Sondern das Gefühl, dass sie jemand in den Arm nimmt und ihre Hände hält.“

 Patricia Hecht

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