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Flüchtlinge warten bei frostigen Temperaturen vor dem Lageso.

© dpa

Ehrhart Körting zur Flüchtlingsdebatte: "Merkel spielt tote Maus"

Ex-Senator Körtings Position in der Flüchtlingssdebatte löste Kontroversen aus. Er bleibt bei seinen Standpunkten, auch wenn es Beifall von der falschen Seite gibt.

„Wenn wir den Rechtsstaat mit einem Mantel der falschen Nächstenliebe, aus falsch verstandener political correctness außer Kraft setzen, verlieren wir ihn“, so hat Ehrhart Körting kurz vor Weihnachten in einem Beitrag für den Tagesspiegel gewarnt: „Wer die Probleme verschweigt wie die Bundeskanzlerin, produziert im Ergebnis Rechtsradikalismus und den Abbau des Rechtstaates.“

Die Flut an Reaktionen hat den früheren Berliner Innensenator überrascht. Allein auf Tagesspiegel.de finden sich über 320 Kommentare; es gab viel Zustimmung, auch aus SPD-Kreisen. Erschrocken aber war er, für wen er da zum Kronzeugen wurde. „Es gab Portale, die habe ich sofort wieder geschlossen“, sagt er an diesem regnerisch-grauem Wintertag: „nur rechtsradikaler Stuss“. Wer sich auf ihn berufe, sagt er, der müsse schon richtig lesen.

Nein, Zivilcourage, wie jetzt ihm gänzlich unbekannte Menschen bescheinigen, die habe er mit seinem Text nicht gezeigt. Hier wird doch keine Meinung unterdrückt, sagt er, und schaut auf eine etwas verschmitzte Art. Nur ein leichter Unterton lässt spüren, dass Ehrhart Körting bewusst ist, dass in der Flüchtlingsdebatte manche sogar von Meinungsdiktatur sprechen. Der Sozialdemokrat ist ja selber mitten hinein geraten diese Auseinandersetzung, in der es scheinbar nur noch Gegensatzpositionen gibt.

Demokratischen Regeln sollen anerkannt werden

Dabei will der 73-jährige, dessen Haare immer noch tief dunkel sind, beim Thema Flüchtlinge doch dazu beitragen, dass die Probleme mit lebenspraktischer Klugheit und politischer Intelligenz angegangen werden. Aber der erfahrene Innenpolitiker, der in seiner zehnjährigen Amtszeit als Berlins Innensenator auch seine Länderkollegen und vor allem das juristische Unterholz der Asylgesetzgebung minutiös kennengelernt hat, kann gut ermessen, wie schlecht die Chancen dafür stehen. Wie soll es auch, wenn die Ereignisse zum Jahresbeginn die ganze Bundesrepublik zu einem Krisenzone der Meinungsbildung gemacht haben.

Ganz ungewollt ist Körting mit seinen Wortmeldungen zu einer Kassandra kommenden Unheils geworden. Weil er früh genau hinschaute, auf welche Probleme die Bundesrepublik hinsteuert. Es war auch nicht der erste Beitrag, mit dem sich Körting seit Beginn des großen Flüchtlingszuzugs nach Deutschland im vergangenen Sommer geäußert hat. Er warnte etwa schon im Herbst, dass auch ein verschärftes Asylverfahrensgesetz es nicht schaffen wird, alle straffällig gewordenen Flüchtlinge wirklich abzuschieben.

Ehrhart Körting.
Ehrhart Körting.

© Mike Wolff

Nachdem er über seine Kontakte zu Flüchtlingshelfern oder Kirchengemeinden davon hörte, hat er angeprangert, dass muslimische Flüchtlinge ihre christlichen Leidensgefährten in den Notunterkünften drangsalieren, antisemitisch pöbeln oder Frauen als minderwertige Geschöpfe behandeln. „Dies darf man nicht zudecken, sondern muss mit allen Mitteln unser freiheitlichen, wehrhaften Demokratie dagegen vorgehen, betont Körting. „Das kriegen sie nicht weg mit Deutschkursen oder wenn sie denen das Grundgesetz vorlesen“, sagt er über jene Integrationsverweigerer. Wer nicht bereit ist, die demokratischen Regeln anzuerkennen, „der darf hier nicht bleiben“.

Beifall von der falschen Seite

Auch wenn er kein politisches Amt mehr hat, will er mit seiner Erfahrung dazu beitragen, dass Deutschland diese Herausforderung gut bewältigt. Der Jurist, der in Charlottenburg eine Kanzlei betreibt, hat auch früher nie den Konflikt gescheut. Er hat darauf beharrt, seinen ganz eigenen Blick zu haben – und auszuhalten, wenn er dafür Kritik erntete oder vereinnahmt wurde von Menschen, denen er sich sehr fern sieht.

„Beifall von der falschen Seite darf einen nicht abhalten, zu sagen, was notwendig ist“, sagt er. Im Café Savigny schaut er dabei über seine Tasse hinweg in den Winterregen. Sich so unbehaglich zu fühlen, wie die im Regen vorbeihastenden Menschen, sieht er keinen Anlass. Körting will mit seiner differenzierten Position im Minenfeld der polarisierten Meinungen aushalten.

Wie sich die Diskussion verändert hat, sieht er mit Sorge. „Erst sagten alle, wir schaffen das, und nun schimpfen alle – können wir nicht mal ein vernünftiges Mittelmaß haben?“, fragt er. Er habe sich über die anfängliche Welle des Willkommens gefreut. Dem sei dann aber von der Politik nichts mehr gefolgt. „Merkel spielt tote Maus“, ärgert er sich über die Bundeskanzlerin:  „Politik kann nur gewinnen, wenn sie glaubwürdig bleibt.“

Tradition eines liberalen Berliner Gemeinwesens

Der Sozialdemokrat, der mit leiser Stimme redet, aber klare Worte spricht, hat damit bis zu seiner freiwilligen Amtsaufgabe Ende 2011 die Anerkennung der Kollegen aus anderen Parteien gewonnen. Auch die CDU unterstützte ihn oft, weil Körting als konsequenter Verfechter der Staatsgewalt galt. So hat er über die Jahre mit dem Polizeipräsidenten mit seinem Deeskalationskonzept die Kreuzberger Krawalltradition am 1. Mai gebrochen – mit ausgestreckter Hand und Härte: zurückhaltendes Auftreten der Polizei, solange es friedlich bleibt, und unnachgiebig-gezieltem Einsatz gegen Randalierer.

Der geborene Berliner steht trotzdem für eine Tradition eines liberalen Berliner Gemeinwesens – als Baustadtrat in Charlottenburg, als Vizepräsident des Berliner Verfassungsgerichts und auch als Justizsenator. Seine Glaubwürdigkeit in der Flüchtlingsdebatte hat Körting auch durch seinen nachdrücklichen Einsatz für die Integration in Berlin gewonnen.

"Etwas zu verschweigen, ist immer falsch"

Als erster Innensenator hat er intensiv den Dialog mit der türkischen und arabischen Gemeinschaft gesucht und regelmäßig mit Moschee-Gemeinden diskutiert. Das hat ihm durchaus Kritik eingebracht. Zurückgescheut ist er auch nicht vor Moscheen, in denen Gast-Imame schon mal hetzerische Predigten hielten, oder Vereine, die im Verfassungsschutzbericht als extremistisch auftauchten. „Ich gebe keine Seele verloren“, war und ist seine knappe Begründung für seine Bemühungen, für Toleranz zu streiten.

Körting hat in seiner Amtszeit als Innensenator aber zugleich maßgeblich dazu beigetragen, dass Berlin entschieden gegen jugendliche Intensivtäter vorging – und benannt, dass die jungen Kriminellen ganz überwiegend aus Migrantenfamilien kommen. Auch das war ein Tabubruch.

Zuvor hatte etwa die Polizei die Herkunft der Täter nicht registriert – weil man sich sorgte, dies könne einer Ausländerfeindlichkeit Vorschub leisten. „Etwas zu verschweigen, ist immer falsch – nur, wenn man etwas weiß, kann man etwas dagegen tun“, sagt er. Dass er damit auch die anfänglichen Versuche der Kölner Polizei meint, die Herkunft der Täter in der Silvesternacht zu verheimlichen, braucht er nicht zu betonen.

Seine Meinung zum Kopftuch hat er geändert

In manchen Dingen hat er seine Meinung geändert und gibt dies auch zu. Etwa beim Thema Kopftuch. Der Architekt des Berliner Gesetzes von 2005, welches generell das Kopftuch im öffentlichen Dienst verbietet, findet dies heute noch richtig für Richterinnen oder Polizistinnen, nicht mehr aber für Lehrerinnen.

Überzeugt hätten ihn Gespräche mit muslimischen Frauen, für die das Kopftuch Ausdruck ihrer religiösen Identität sei, nicht Symbol einer intoleranten Unterdrückung. Der Beruf der Lehrerin, so habe er gelernt, sei mit dem Kopftuchverbot für diese Frauen aus konservativen Familien nun als ein möglicher Emanzipationsweg verstellt. Körting steht mit seiner geänderten Meinung im Gegensatz zur Berliner SPD-CDU-Regierung. Die will am Gesetz festhalten, obwohl das Bundesverfassungsgericht eine solche Regelung aus Nordrhein-Westfalen gekippt hat.

Als Anwalt beschäftigt sich der Vater von fünf längst erwachsenen Kindern nur noch mit Baurecht, nicht mit Ausländer- oder Verwaltungsrecht – „das gehört sich nicht“, sagt er Blick auf seinen Nachfolger als Innensenator, den CDU-Landesvorsitzenden Frank Henkel. Aber neben seinem ehrenamtlichen Einsatz als Berliner Präsident des Berliner Behindertensportverbands engagiert sich Körting für den interreligiösen Dialog.

Neben der Bibel liegt der Koran

Beim Treffpunkt Religion und Gesellschaft in Neukölln, in dem die katholische und evangelische Kirche, die jüdische Gemeinde sowie der Moscheeverein Ditib zusammenarbeiten, ist Körting im Vorstand. Das Bemühen um verbindende Gespräche von Menschen unterschiedlichsten Glaubens hat für ihn symbolhaft auf dem Tempelhofer Feld Gestalt angenommen.

Nicht unweit der Sehitlik Moschee, in der Körting häufig Gast war, hat die Initiative eine Installation errichtet. Mitten im Grün stehen sieben mal sieben leuchtend blaue Sitze in zwei konzentrischen Kreisen unter dem Titel „Zusammenkommen, auseinandersetzen, gemeinsam weitergehen“. Eine Lücke in dem Sitzkreis soll die Unvollkommenheit allen menschlichen Strebens symbolisieren. „Wenn Allah gewollt hätte, dass wir alle den selben Weg gehen, dann hätte er das so gemacht“, zitiert Körting eine Sure zur religiösen Toleranz aus dem Koran. In seinem früheren Amtszimmer am Molkenmarkt hatte der Innensenator Körting auf einem Stehpult – neben der Bibel – stets auch einen Koran liegen.

Für ihn ein Ausdruck der multireligiösen Berliner Gesellschaft. Gerade deshalb ist er für klare Regeln und Ansagen für eine Integration. „Laisser-faire ist kein Königsweg der Integration“, sagt er. Er weiß zu gut, wie Berlin in der Vergangenheit dabei versagt hat.

Keine rechtsfreien Räume

Die kriminellen libanesischen Großfamilien, die in Berlin in einem eigenen Rechtsuniversum agieren und deutsche Staatlichkeit kaum anerkennen, sind auch das Ergebnis gescheiterter Integration. „Wir dürfen nicht wieder den Fehler machen, rechtsfreie Räume zuzulassen“.

Der Verfassungsrechtler hat beizeiten darauf hingewiesen – etwa im SPD-Blatt „Berliner Stimme“ – dass Grenzkontrollen keinen Verstoß gegen das Schengen-Abkommen bedeuten, solange sie nicht dauerhaft eingeführt werden, sondern nur so lange, bis die EU-Außengrenzen gesichert seien. Körting sieht keine Alternative dazu, Flüchtlinge zentral an den Außengrenzen der EU, vor allem in Griechenland, zu versorgen und von dort aus auf die Mitgliedsländer zu verteilen oder abzuweisen.

„Wir haben die humanitäre Verpflichtung, die Menschen aufzunehmen, die in Aleppo im Bombenhagel leben, oder wie die Jesiden vom IS bedroht sind“, sagt er. Diese Verpflichtung sieht er aber weder für Menschen aus Marokko, Tunesien, noch für befriedete Teile des Iraks oder Afghanistan.

Defizite der Integration

Körting ist skeptisch, ob die Übergriffe in der Kölner Silvesternacht und der in Paris bei einem Attentatsversuch getötete Nordafrikaner, der in Deutschland unter sieben Identitäten als Asylbewerber wohnte, dazu beitragen, die von ihm gewünschte nüchterne Problemlösungsdebatte voranzubringen.

Man dürfe keinen Zusammenhang herstellen zwischen den Straftaten weniger Krimineller in Köln und allen Flüchtlingen. „Aber die Vorgänge zeigen auf, wo es Defizite in der Integration gibt“. Körtings Hände gehen auseinander, wenn er über die gefühlte Schere zwischen gutem Willen und lösungsorientierten Regeln spricht. Wenn die Kölner Ereignisse ein Wendepunkt sind, „hin zu einer realistischen Debatte, welche Anstrengungen wir zur Integration vor uns haben, dann wäre etwas gewonnen“.

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