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Berlin: Ein Doppel für Doppelrollen

Ralph und Ingo Woesner sind Schauspieler, Regisseure und Requisiteure in einem. Derzeit spielen sie im Kreuzberger Kinderzirkus Cabuwazi das Stück „Amphitryon“

Ingo Woesner vertieft seinen Blick in ein schwarz bedrucktes Manuskript, während Ralph bei seinem Milchkaffee mit der blonden Stammkellnerin im Café „Sowohl als auch“ flirtet. Am Nebentisch sitzt eine junge Dame mit Laptop und testet verschiedene Funktionen. Gegenüber versteckt jemand seinen Kopf hinter der Tageszeitung.

Einige Stunden später hängt Ralph Woesner zwischen Drahtseilen und bunten Lampen an der Decke des Zirkus Cabuwazi in Kreuzberg. „Stimmt der Winkel jetzt?“, fragt er Ingo. Der schnürt sich gerade den Gürtel seines Amphytrion-Kostüms. Die antike Tracht hat sich Ingo aus alten Kartoffelsäcken genäht. Nicht nur die runde Bühne, auch die Kostüme sollen an griechisches Theater erinnern. Alles soll so authentisch wie möglich sein, in der Inszenierung von Molières Stück Amphytrion. „Licht ist okay, Bruder“, schallt es von Ingo dort oben zurück.

Der Knecht übt marschieren wie sein Herr, während der in der Schlacht kämpft. Der Diener trägt dieselben Bundeswehrstiefel aus schwarzem Leder. Er zieht mühsam den rechten Fuß hinter sich her. Er hinkt und sein Rücken ist krumm. Jupiter ist in Gestalt des Feldherrn Amphytrion vom Olymp herabgestiegen, um dessen schöne Gattin Alkmene für sich zu bekommen. „Liebeslust und Liebesfrust“ schließt sich an in dieser Komödie, deren vier männliche Hauptrollen Jupiter, Amphytrion, Sosias oder Merkur abwechselnd von Ralph und Ingo Woesner gespielt werden.

Ralph klebt Streifen auf die runde Bühne, Orientierungshilfen. Ingo flüstert Sätze vor sich hin. Er spielt Jupiter, einen Gott. Nur einige Jahre ist es her, dass der 39-Jährige als Mephisto in Senftenberg auf der Bühne stand. Himmel und Hölle. „Die einzige Verbindung zwischen Mephisto und Amphytrion bin ich“, sagt Ingo.

Den Knecht trifft Amphytrions Keule mitten ins Gesicht. Nun taumelt er, krümmt sich, fällt – während die Kriegerbrust nicht aufhört zu schwellen. Der Knecht wird später versuchen zurückzuschlagen. Es wird verzweifelt wirken, ihm fehlt die Übung.

Nachdem Ralph Woesner wie sein Bruder die Schauspielschule Ernst Busch in Berlin absolviert hatte, lebte er in Hamburg als Freischaffender. „Man sitzt vor dem Telefon und wartet, dass es klingelt, dass man Aufträge bekommt.“ Als ihm das reichte, stand Ralph eines Abends vor Ingos Tür in Prenzlauer Berg. Er kam im passenden Moment. Ingo hatte gerade angefangen, sich selbstständig zu machen, bastelte abends stundenlang an einer eigenen Internetseite. Ihm fehlte nur noch jemand, der nach außen wirkte.

Ingo ist „ruhig, mehr der Strippenzieher im Hintergrund“, beschreibt Ralph seinen Bruder, „ich bin chaotischer, schneller, mehr der Kommunikator“.

Irgendwann gründeten sie die Firma „Woesner Brothers Entertainment“, seitdem produzieren sie ihre Theaterstücke, meist Komödien, selbst. Und machen auch sonst alles, was anfällt, um das Stück auf die Bühne zu bringen: Sie basteln die Kostüme, wählen die passenden Schauspieler, inszenieren, führen Regie und übernehmen die Hauptrollen. So wie in ihrem aktuellen Stück.

Dabei geht es ihnen nicht um Show, sondern um gute Unterhaltung. „Wir haben keinen Bock auf intellektuelles Theater, wir wollen Fleisch, keinen Kopf“, sagt Ralph. Die inneren Gegensätze der beiden Brüder zeigen sich auch äußerlich. Ingo trägt kurze Haare und eine Brille, er wirkt seriöser und organisierter. Ralph fallen dunkle Strähnen ins Gesicht, er lächelt jugendlich schelmisch.

„Beiß mich, kratz mich, gib mir Tiernamen“, stöhnt Jupiter Alkmene ins Ohr, er hat sich das von Amphytrion abgehört. Der hat aber längst Wind bekommen von seinem Nebenbuhler. Echt und unecht, Gut und Böse, Figur und Darsteller – alles mischt sich in dieser Komödie.

Irgendwann möchten Ingo und Ralph ihr eigenes Café-Theater im Stil der 20er Jahre gründen, mit Restaurant, Musical und Kabarett. Sie suchen nach einem passenden Ort. Von seinem Erfolg ist Ralph überzeugt: „So etwas gibt es noch nicht in Berlin, und als Familienunternehmen sind wir sowieso konkurrenzlos.“ Ingo schweigt und liest in seinem Manuskript. Im Geiste zieht er vielleicht längst die Strippen.

Die Woesner-Brüder sind zu sehen im Kinderzirkus Cabuwazi, Wiener Straße 59h (neben dem Spreewaldbad), am heutigen Dienstag, Mittwoch und Donnerstag jeweils um 20.30 Uhr. Die Karten kosten 11 €, ermäßigt 9 €.

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