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Ronald Schulz, 50, ist die große Konstante bei aller Veränderung in Neukölln, Braunschweiger Ecke Richardstraße.

© Thilo Rückeis

Ein Hauswart in Neukölln: Ein Haus und eine Seele

Hatten nicht alle Berliner mal einen Hauswart? Einen, der stets da war und die Geschichte jedes Mieters kannte. So einen wie Ronald Schulz. Er regelt das Leben in einem Neuköllner Eckhaus. „Kraft meiner Wassersuppe“, sagt er.

Krause ist jetzt die fünfte Woche verschwunden. Und die Sache muss geregelt werden. „Wassermalheur beim Mieter Krause. Zweites OG Mitte rechts.“ Er schickt jemanden los, der in der Wohnung darunter die Feuchtigkeit messen soll. Schließlich kann man, wenn der Frost kommt, nicht mehr einfach die Balkontür offen stehen lassen.

Mehr als 400 Kontakte im Telefon. Platinstatus bei Vodafone. Ronald Schulz, offiziell „Bautechnische Hilfskraft mit Hausmeistertätigkeit“, vereint in seinem Heizungskeller und Hauptquartier: Blitzzement, Aceton, Glühbirnen. Mikrowelle, Motorradhelm. „Jut, mein Bester.“ – „Okay, mein Freund.“

Die giftigen Spinnen aus dem ersten Stock haben ihm nichts anhaben können. Der SEK-Trupp, der ihn eines Tages im Hinterhof an die Wand drückte, hat ihn nicht mehr geschockt als nötig, und als Mieter Krause blutend auf dem Podest lag, da wusste er sofort, was zu tun ist. Die Sammelbüchse jedoch, die seine Mieter ihm überreichten, mit 87 Euro darin, und die Klappkarte „Für unseren Haus-man Ronny“, rührten ihn zu Tränen.

Ronald Schulz ist gerade 50 Jahre alt geworden und jetzt klappt er in seinem wohltemperierten, wenn auch tageslichtlosen Heizungskeller die Glückwunschkarte wieder zu. „Das ist nach zehn Jahren die erste Rückmeldung.“ Und: „87 Euro – das ist richtig viel Geld.“

Eine räudige Gegend von Neukölln

Hier in der räudigen Gegend von Neukölln, Braunschweiger Ecke Richardstraße, von 36 Mietparteien haben drei eine geregelte Arbeit, in drei Wohnungen werden überhaupt jemals die Fenster geputzt. Hier kennt er jeden Nagel, die meisten Armaturen hat er selbst gewartet, einige Wohnungen strich er in den letzten zehn Jahren fünf Mal. Gitti hatte geschickt mit dem Sammeln am Monatsanfang begonnen. Weil am Monatsende nichts mehr übrig sein würde. Nicht einmal mehr für Ronny.

Hatten nicht alle Berliner mal einen Hauswart? Einen Kinderschreck, der die Geschichten aller Mieter kannte, wie in Frankreich die allwissende Concierge? Immer zuständig. Manchmal schlichtend. Auf der feinen Linie zwischen sozialer Kontrolle und Gesprächsangebot.

In einer Zeit, in der die Hausverwaltungen und Wohnungsbaugesellschaften vermehrt auf den „Facility Manager“ setzen, der vor allem schnell delegiert, statt selber Hand anzulegen, soll er Drehscheibe sein mit klar umrissenen Zuständigkeiten. Sie verknüpfen Funktionen im Haus. Das ist natürlich professionell. Es ist effizient und transparent für Hausverwaltungen. Aber fünfe sind niemals gerade, der Facility Manager ist ein Verleihnix und selten jemand, den man so etwas wie eine Seele nennen könnte.

Die Menschen müssen zusammenpassen

Der Hauswart alter Schule jedoch ist Kenner aller Dramen. Und im Falle einer Räumung: Regisseur des letzten Akts. Beim ihm müssen die Menschen zusammenpassen. Deshalb spielt es überhaupt eine Rolle, dass der eine vom anderen etwas weiß. Und was Ronald Schulz jenseits der Übergabeprotokolle, der tropfenden Wasserhähne, ausgefallenen Heizungen und Wasserschäden so tut. „Ohne Ronny ginge das Haus hier den Bach runter“, sagen die Mieter. Den Unterschied macht das, wofür er offiziell nicht zuständig ist, sich aber zuständig fühlt. „Kraft meiner Wassersuppe“, sagt Ronald Schulz, kann er dann selbst entscheiden. Früher lief das so: Es sprach sich rum, wenn eine Wohnung frei wurde. Wenn jemand anfragte, rief Ronald Schulz bei Sympathie seine Hausverwaltung an: „Von mir hatter grünet.“ Aber weil mittlerweile gar keine Wohnungen mehr leer stehen, hat er das schon lange nicht mehr gesagt.

Jeder hat ja sein eigenes Früher

Als er vor zehn Jahren anfing, lehnten viele Bewohner dauerhaft gegenüber an einem Stromkasten. Eigentlich immer. Sie hatten ja Zeit, und hier konnten sie ihr Bier abstellen. Ein Freiluft-Tresen mitten in der Braunschweiger. Ronny nannte es die „Stromkastenzeit“ und führte einen neuen Gruß ein, bei dem sie die geballte Faust aneinander schlugen, Fingerknöchel an Fingerknöchel. Maximale Sympathiebekundung bei minimalem Körperkontakt. Das war auch eine Frage der Hygiene. Der Ton war etwas rüpelhaft und am meisten redete Detta, „wenn er gesoffen hatte, war er unser Baustellenradio“. Die beiden ältlichen Russinnen, die eine Zeit lang versuchten, im Erdgeschoss einen Puff am Laufen zu halten, gaben entnervt auf.

Jeder hat ja sein eigenes Früher. Nachdem der Puff aufgegeben hatte, zogen geschmeidige junge Frauen von jener gepflegten Makellosigkeit ein, die vor einem etwas abgerockten Hintergrund besonders zur Geltung kommt: Maite Sole aus Barcelona fragte an, ob die Erdgeschosswohnung zu haben sei, in die unwahrscheinlicherweise die Sonne fällt. Ronny fand, dass die Globalisierung ein hübsches Gesicht hatte, und holte für die Besichtigung sein VHS-Englisch raus. Seitdem besteht im Eck eine Künstlerinnen-WG. Neben Maite, 32, zog Stefanie Illouz aus Tel Aviv ein: Film, Video, Installationen. Die beiden servieren einen Kaffee. Als Illouz neulich alte Kleider brauchte für ein Projekt, lag prompt gegenüber vor einer Haustür ein ganzer Haufen herum. Das findet sie irre. Der Rauch ihrer Selbstgedrehten kräuselt sich in Richtung Stuckdecke. In Berlin finden die entferntesten Dinge ganz unkompliziert zusammen.

Er ist Hauswart - und Konstante

Dass sie sich von Anfang an sicher fühlten in diesem Haus, liege zu keinem geringem Teil daran, dass Ronald Schulz Hauswart und Konstante ist.

Hauswart werden die wenigsten von Anfang an. Da rutscht einer so rein und nutzt die Erfahrung aus allem, was er vorher gemacht hat. „Ick bin ’ne Bulette“, sagt Ronald Schulz, der Berliner. Seine Eltern in Adlershof arbeiteten „von Licht bis Licht“. Er lernte Anfang der Achtziger Maschinist für Kraftwerksanlagen, künstliche Kälteerzeugung, Ammoniakkühlung. Machte einen Kesselwärterbrief. Bis 85 war er Soldat, dann Busfahrer, der 23er in Alt-Glienicke seine Stammlinie. Er ging zum DDR-Fernsehen und fuhr Frank Zander und Konsorten. Er fuhr Taxi, Feinkost, Schwertransporte und Beton, bis ihn ein Bandscheibenvorfall anderthalb Jahre in den Sessel zwang.

Es ergab sich dann so, dass er abends mal für jemanden eine Baustelle abschließen sollte. „Könnten Sie hier auch die Dielung ergänzen?“ – „Und hier die Wände für Elektrokabel schlitzen?“ Er konnte so einiges, stellte er fest. Feuchtraumplatten verarbeiten, Trennwände, Trockenwandvorbauten, Duschtassen, Summer und Siphone.

Darum geht es in seinem Job: das Dazwischen

Ronald Schulz hat einen Gabelstaplerschein, einen Kran- und einen Baggerschein, und inzwischen renoviert er die Wohnungen, wenn die Mieter doch mal ausgezogen sind. Er schaute Maurern, Fliesenlegern, Zimmerern zu. Firstpfette, Mittelpfette, Sparre zogen in seinen Wortschatz ein. Neulich hat er seinen Chef mal um eine Schleifgiraffe gebeten. „Aber ich brauche keine Schleifgiraffe mehr – ich spachtele inzwischen so glatt von Hand …“ Sein ganzer Stolz: Erst jüngst hat er mithilfe eines Mieters sein Fugenbild noch einmal merklich verbessert, „von fünf auf drei Millimeter“.

Und darum geht es ja eigentlich in seinem gesamten Job: um das Dazwischen. Darum, das richtige Verhältnis zwischen Abstand und Zusammenhalt zu finden. Zwischen Mietern, Vermietern und ihm selbst. Es ist die Kunst der Fuge in der Großstadt.

Du, Ronny …? Immer mal wieder geht einem Mieter das Geld aus. Es steht in keiner Stellenbeschreibung, dass Hausmeister ihren Mietern was pumpen müssen. Aber Ronny gewöhnte sich an, immer einen Fünf-Euro-Schein in der Tasche zu haben.

Er hielte es nicht aus, in seinem Haus zu wohnen

Er muss aber auch aufpassen, dass er sich nicht zu tief hineinziehen lässt, nicht zu eng wird mit den Mietern. Er ist dann froh um seine anderen, weniger aufwendigen Putzstellen. Anderes Publikum, anderes Berlin: zwei Aufgänge in der Ackerstraße, fünf in der Grolmannstraße, zwei in der Pestalozzi, Yorck neun, Urban sieben und Fontanepromenade sieben Aufgänge. Dann noch eine Baustelle in Reinickendorf. Zwischen allen diesen Baustellen wird er dann zum rasenden Ronald, verflucht den Verkehr in seinem weißen Lieferwagen der B&W-Hausverwaltung.

Ronald Schulz hielte es nicht aus, in seinem Haus auch zu wohnen. Er ist um den Abstand genauso froh, wie um den Zusammenhalt. Er ist ohnehin länger hier, als er es müsste: „Ich habe nicht das Bedürfnis, um vier nach Hause zu gehen.“ Andererseits haben die Mieter auch keine Hemmungen, nachts anzurufen.

Das meiste kann er selbst erledigen, wenn nicht, weiß er, wen er fragte

Warum er selbst noch nicht durch einen „Facility Manager“ ersetzt ist? Er glaubt, weil er so flexibel ist und vielseitig. Das meiste kann er selbst erledigen, wenn nicht, weiß er, wen er fragt. „Kraft meiner Wassersuppe“, das sagt er gern, erteilt er Aufträge. Kraft seiner Erfahrung schätzt er ein, was nötig ist, und kauft es im Baumarkt bargeldlos ein. „Freier arbeiten als hier kann ich nirgends.“ Er hat im Sommer Fahrradständer im Hof gebaut, weil er Lust dazu hatte. Der Angler, Motorradfahrer, Sternzeichen Jungfrau, ist für havarierte Mieter, Klempner, den Chef immer erreichbar. Andererseits kann er auch mal sagen, er geht heute in die Pilze.

Die Stahltür schwingt auf, ein gepflegter Kammerjäger in blütenweißer Latzhose erscheint. Was ist mit Krause?

Als sie bei dem verschwundenen Mieter Krause die Tür öffnen mussten wegen des Wasserschadens, setzte Ronny sich seine Maske auf, „Vollatemschutz mit zwei Filtern“. Krause, „ehemaliger Rummelboxer“, wohnt schon seit 30 Jahren hier. Ronny hatte aber die Wohnung noch nie von innen gesehen. „20 Jahre nicht geputzt.“ Um das Klo herum gab es überhaupt keine Fugen mehr.

Im Gedächtnis bleiben Extreme

Es gibt natürlich auch die regelmäßigen Mieter. Aber im Gedächtnis bleiben doch Extreme, wie nach dem Anruf der Verwaltung vor fünf Jahren. „Können Sie mir mal sagen, was mit dem Herrn Bremer ist?“ Bremer, Bremer. Ronny hatte kein Gesicht vor Augen. „Die Miete kommt nicht mehr.“ Solche Anfragen schienen immer im düsteren November aufzutauchen. Und die Wohnungstür ging nicht auf, irgendetwas drückte von innen dagegen. Er fasste langsam um die Tür herum und in etwas Weiches. Es war nicht, was er dachte, nur die Post.

Aktuell waren in dem meterhohen Berg nur die Mahnungen: auch die der Hausverwaltung, die nachfragte, wo denn nun die Miete blieb. Offensichtlich, so reimte er es sich zusammen, nachdem er den Stapel von anderthalb Jahren sortiert hatte, war der Mann verschwunden, vielleicht abgeholt von einem Krankenwagen, und das Geld auf dem Konto hatte für diese Zeit ausgereicht. Der AB blinkte, der Kühlschrank lief.

Nach diesem doch etwas gruseligen Vorfall hat er entgegen allen Sparmaßnahmen begonnen, 60-Watt-Birnen im Treppenhaus einzudrehen, und in den beiden vorderen Aufgängen sogar 100er!

Irgendeinen Draht findet er zu jedem

Ronald Schulz sitzt in seinem Stuhl im Keller vor der Mikrowelle und erzählt von Mark, vor dem er selbst ein bisschen Angst hatte. Der verschwand immer in Tarnhosen in seinem düsteren Flur. Aber weil es Schulz noch meistens gelingt, über irgendein Thema einen Draht herzustellen, sprachen sie irgendwann über Motorräder, und dann saß er bei Mark im Wohnzimmer. „Was ist denn das da?“ Eine Vogelspinne. „Und das da in dem Glaskasten?“ Eine Kornnatter.

Es nahm eine ungute Wendung mit Mark. Einer Mieterhöhung hätte er entweder zustimmen müssen oder gegen sie Einspruch erheben. Aber weil er gar nichts tat, konnte irgendwann auch Ronny nicht mehr helfen. „Der Titel war durch. Räumung.“ „Jetzt flieg ich“, sagte Mark, verschwand in seine Wohnung und drehte die Musik auf. Weil er wenig später mit einer Gaspistole am Fenster herumfuchtelte, holte ihn das SEK ab.

Das alte Neukölln kann niemand einfrieren

Es stand natürlich in keinem Arbeitsvertrag, dass er nach Marks Verschwinden nun zu Obi in die Tierabteilung gehen und Goldfische kaufen sollte. Er tat es trotzdem und fütterte damit Marks Kornnatter. Die Vogelspinne sind sie losgeworden, aber eine weitere Spinne entpuppte sich als atrax robustus, eine tödlich giftige australische Spinne, die eigentlich nur um Sydney herum zu finden ist. Keinesfalls in der Braunschweiger Straße in Neukölln. Ein Bekannter hat Aceton hineingelassen, sie schockgefrostet und irgendwann in Kunstharz gegossen.

Aber das alte Neukölln kann niemand einfrieren. Zehn Jahre vergingen, in denen Schulz vor seinem Heizungskeller den Kopf eingezogen hat, damit er mit seinen 1,85 Metern nicht an die Decke stößt. In denen er sich das Vertrauen seines Chefs und seiner Mieter erarbeitet hat. Sie haben von Ölbrenner auf Fernwärme umgestellt. Es ist neu, dass sich Mathematikstudenten mit Elternbürgschaft vorstellen. Gegenüber ist eine schwäbische Kita mit satinierten Scheiben eingezogen, in eine Eckkneipe Rechtsanwälte. Aber Schulz reicht noch immer die Rechte mit fünf dicken Schwielen. „Wer Schwielen hat, kriegt keine Blasen.“

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