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An der Wand hängen Herthas Helden, die Spiele können sie hier aber nicht mehr zeigen: Innenraum des "Bierbrunnens an der Plumpe".

© Ehrmann

Ein Hertha-Spiel ohne Hertha: Kein Tor an der Plumpe!

Am Gesundbrunnen wurde Hertha BSC gegründet, aber der Fußball ist lange schon woanders hingegangen. Ein Hertha-Spiel in der alten Fankneipe, die sich kein Sky mehr leisten kann.

Es ist kurz nach halb sieben, als ein Typ in den Bierbrunnen kommt, den blau-weißen Schal nur halb unter dem Jackenkragen. Ein kurzer Blick ins Kneipeninnere, der Tresen ist rund wie ein Fußball, die Wand voller Wimpel und alter Mannschaftsfotos. Auf dem Fernseher läuft Videotext.

"Fußball wird hier nicht gezeigt?", fragt er. "Nee", antwortet einer am Tresen. Kurze Pause. "Wissen Sie, wo hier in der Nähe gezeigt wird?" - "Im Offside." Vage Bewegung ins Irgendwo. „Ist da hinten."

Es ist kurz nach halb sieben an einem Sonntag im "Bierbrunnen an der Plumpe", Behmstraße, Ecke Badstraße. Im Olympiastadion ist gerade die zweite Halbzeit zwischen Hertha BSC und dem VfL Wolfsburg angepfiffen worden, Fußball-Bundesliga, 21. Spieltag, aber hier, im offiziellen Hertha-Fantreff, zwölf Kilometer östlich des Stadions, kriegt davon keiner was mit.

Das heißt, nicht ganz: Es läuft ja, wie gesagt, der Videotext, schwarze Maske vor stummem Röhrenbild.

Grau ist er der Fernseher und kastenartig und ziemlich klein, winzig eigentlich für heutige Verhältnisse. Darunter hängt ein Schild, darauf steht: "Wer die Wirtin kränkt, wird aufgehängt." Neben dem Schild baumelt traurig ein Stoffpüppchen, mit Strick um den Hals, auf dem Kopf eine Schiebermütze, von der Art, wie sie sie früher trugen.

Ganz früher also, als Hertha noch Meisterschaften gewann und nicht in der großen und schicken und kalten Arena in Charlottenburg spielte, sondern hier, einmal die Behm runter, an der nächsten Ecke, an der Plumpe, so sagten die Leute, die Schulter an Schulter standen auf den engen Tribünen, ohne Dach und direkt am Rasen, und wenn es regnete, zogen sie die Hüte tiefer ins Gesicht und schlugen die Kragen ihrer Mäntel hoch.

Rechnet sich nicht, nicht rauf, nicht runter

Heute kann man keinen Fußball mehr sehen, hier am Gesundbrunnen, nicht im Stadion, das sie lange abgerissen haben, schon vor 40 Jahren. Und auch nicht mehr im Bierbrunnen.

600 Euro im Monat hätten sie zahlen sollen, damit ihnen Sky die Hertha-Spiele auf den Fernseher liefert. Fußball kostet viel Geld, im Jahr 40 nach der Plumpe, aber Hertha hat immer noch nicht mehr als 34 Spiele pro Saison. Rechnet sich nicht, hat eben die Besitzerin gesagt, rechnet sich gar nicht, weder hoch noch runter, und dann hat sie die Kasse übergeben, zuhause warten Kartoffeln und Rotkohl, und hinter dem runden Tresen steht jetzt Kalle, ein Telly Savalas mit Brille. Gibt es soweit ich weiß nirgendwo sonst in Berlin, sagt Kalle, nen runden Tresen. Nur hier, im Bierbrunnen, offizieller Hertha-Treff, die silberne Plakette hängt in der Ecke, schräg hinter dem Fernsher.

Dann hat Kalle den Videotext angeschaltet. 1:0, stand da. Lila auf Schwarz, um kurz vor sechs. Denn Hertha hatte gerade das 1:0 geschossen, durch die Nummer 13, Per Skjelbred, denn Norweger spielen heute auch Fußball in Berlin, das hätte man mal einem erzählen sollen von denen, deren Gesichter von der Wand des Bierbrunnens schauen, in Schwarz-Weiß.

Bilder sind das, aus einer anderen Zeit. 1931, die Stadt Berlin ahnt noch nicht, was ihr Grausames droht, nämlich dass Hertha 80 Jahre keine Meisterschaft mehr gewinnen wird, und länger. Ernst schauen sie einen an, Herthas letzte Helden, das Meisterteam, den Siegerkranz aus echten Zweigen in der Mitte, nur einer dreht sich schon weg, ganz rechts: "Völker (der sich an einer Scheibe Zitrone labt)", genau so steht es auf der Tafel daneben.

Heute ist der Fußball nicht mehr Schwarz-Weiß. Er ist längst knallbunt, selbst im Videotext, diesem Relikt der 90er, dieser Zeit ohne Handys und Internet, so weit weg scheint sie schon. Lila ist der Spielstand, schwarz der Hintergrund, und weiß der Pausenstand, 1:0, so steht es jetzt in Klammern dahinter.

Halbzeit. Durchatmen.

Letzte Molle auf dem Heimweg

Fußball, schwarz-weiß und bunt.
Fußball, schwarz-weiß und bunt.

© Ehrmann

Viel los ist hier nicht mehr, an der Plumpe, wenn Hertha spielt. Am Spielautomaten lässt Manne die Früchte kreisen. Ein Pärchen sitzt am Hochtisch, er schweigt sie an, sie schweigt zurück, und ab und an steht er auf und schmeißt ein bisschen Geld in die Jukebox, Duran Duran, Rea Garvey, Der Graf von Unheilig, 80er, 90er und das Schlimmste von Immer.

Achso, ja, und eben sind noch die Jugoslawen aus dem Rosengarten hereingekommen, ein halbes Dutzend alter Männer mit unsicherem Gang, denn Schnaps kann man auch umfüllen, die Bocciakugeln baumeln in kleinen Etuis von den Handgelenken, sie sind gleich durch in den Raucherraum, klar, sagt Kalle, die sind natürlich längst Bosnier, Serben und Kroaten, aber sie spielen immer noch zusammen.

Die zweite Halbzeit läuft nun zwanzig Minuten und Hertha hat den Ausgleich bekommen, 1:1 Knoche (58.), das steht jetzt unter dem Spielstand im Videotext, sonst nichts. Wie wohl das Tor gefallen ist? Vielleicht war es ein Kopfball, vielleicht ein Schuss in den Winkel, vielleicht auch nur ein blöder Abstauber. Egal.

Scheiße, sagt Kalle, als er den neuen Spielstand sieht. Ich hab's geahnt.

Nicht dass es was ändern würde, ihr Bierchen werden die paar Hertha-Fans nachher so oder so trinken, letzte Molle auf dem Heimweg, die Badstraße runter oder nebenan in die Gartenstadt Atlantic. Nur die Stimmung, die hängt vom Ergebnis ab. Letztens haben sie schon über den Trainer geschimpft, sagt Kalle und kann es nicht fassen, dabei ist das doch der beste, den sie je hatten.

Kalle selbst, gebürtiger Kölner, ehemaliger Restaurant-Betreiber in Hamburg, ist eigentlich Schalke-Fan. Beziehungsweise: war. Bis zu dem Tag, an dem sie Slomka rausgeschmissen haben. Da war's vorbei für mich, sagt Kalle. Schluss, Aus, Finito.

Slomka, das ist der, der jetzt den HSV übernimmt, weil der einmal zu viel verloren hat, aber wer weiß, ob das was hilft. Es ist nicht mehr so leicht den Überblick zu behalten, der Fußball ist sehr schnell geworden und hektisch, vielleicht hilft es da, sich ab und an einfach von seinem Verein zu verabschieden wie Manne. Wenn es einfach alles zu bunt wird. Und vielleicht müssten die Bundesliga-Manager einfach auch öfter mal den Videotext anmachen, da sind die Seiten seit Jahrzehnten die gleichen, Übersicht 250, Spieltag 252 und auf 253 die aktuelle Tabelle.

Spannungsbogen im Videotext: der Fernseher im Hertha-Fantreff "Bierbrunnen" in Gesundbrunnen.
Spannungsbogen im Videotext: der Fernseher im Hertha-Fantreff "Bierbrunnen" in Gesundbrunnen.

© Ehrmann

Nicht mal Herthinho schaut noch rein

Mit einem Sieg sind sie punktgleich mit Wolfsburg, sagt Kalle. Halt nee, muss ja noch ein Punkt weg bei denen, dann sind sie sogar einen vorne.

Naja, sagt er, sind eh nur noch ein paar, die nachher kommen.

Nicht so wie damals, in den 70ern, als Hertha wenigstens noch hier oben trainiert hat, der Bierbrunnen noch Wolfgang Holst gehörte, dem Präsidenten, der die Kneipe 1974 aufgemacht hat, im gleichen Jahr, in dem sie das Stadion abrissen, und die Spieler nach dem Training in die Kneipe gingen, wohin auch sonst, und ihre Molle tranken, die man hier nur nach Größe bestellt. Nulldrei, hat eben einer beim Reinkommen gesagt, nicht mehr, und dann hat ihm Kalle ein kleines Kindl gezapft.

Heute kommt hier kaum ein Herthaner mehr vorbei, es sei denn, Herthinho hat mal wieder gegenüber zu tun, im riesigen Gesundbrunnen-Center, Promo-Termin oder was. Herthinho ist das Maskottchen des Vereins, ein ziemlich dicker Braunbär, aber Durst auf eine Fassbrause, hat der anschließend natürlich auch selten.

Neben der alten Meistermannschaft hängt noch ein altes Foto an der Wand. Holzbänke auf einem Erdwall, Männer in dunklen Mänteln und breitkrempigen Hüten. Hinter der proppenvollen Hintertortribüne ein Altbau, oder - wer weiß - vielleicht auch ein Neubau, damals.

So haben sie Fußball geschaut, damals, bevor sie das Stadion abgerissen haben, vor dem Krieg und den Bomben, und lange bevor die Männer angefangen haben, Baseball-Kappen zu Fußballspielen zu tragen und diese Multifunktions-Jacken.

Was könnte noch hier los sein, denkt man sich, hier oben auf der Behmstraße, alle zwei Wochen, wenn mal wieder Heimspiel wäre. Eine halbe Stunde vor Anpfiff würden sie noch hier stehen, bis raus aufs Trottoir, in dicken Trauben, laut und aufgeregt, und die Durstigsten sogar bis kurz vor halb vier.

Stattdessen schmeißt an diesem Februarsonntag an der Ecke, die sie früher Plumpe nannten, Manne noch ein paar Cent in den Automaten, einer der Jugoslawen wankt nach draußen und Kalle muss ihm die Bocciakugeln hinterhertragen, die er wieder mal vergessen hat, die Jukebox spielt Katie Perry, und Wolfsburg schießt das 2:1.

Alte Unke! Wat fürn Ding?

Kalle steht in der offenen Eingangstür und raucht eine.

Gleich werden sie vorbeikommen, die ersten Enttäuschten, an Kalle vorbei, der sich mit der Linken auf den Türknauf stützt und still vor sich hin raucht, direkt vor ihm gleiten sie vorbei, ein paar Schatten, die Hüte tief ins Gesicht gezogen, die Mantelkragen steif um den Hals, Hertha hat verloren und in ein paar Stunden geht's schon wieder raus, mit der Elektrischen zu Osram oder Siemens, neue Woche, alte Arbeit, und nichts, worüber man sich freuen könnte.

Alte Unke!

Wat fürn Ding? Kalle steht im Türrahmen und schaut Manne verständnislos an.

Ne alte Unke biste, schreit Manne aus seiner Ecke und sein Bart zittert ein bisschen. Jaja, sagt Kalle, geht hinter den Tresen und zapft Manne noch ein Bier.

Der Schlusspfiff ist kein schriller Pfeifenton. Kein enttäuschtes Raunen, das der Februarwind über die Straße weht. Das Spielende ist hier im Bierbrunnen, Hertha-Treff ohne Verbindung zum modernen Fußballgeschäft, nur eine kleine Farbänderung. Der lilafarbene Spielstand wird zum weißen Endstand - 1:2, Hertha hat verloren.

Tjaja, sagt Kalle. Da werden se mir nachher wieder die Ohren vollheulen.

So schlimm?, fragt einer.

Ach was, sagt Kalle und zapft noch ein Nulldrei.

Dieser Artikel erscheint im Wedding-Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegel.

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