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Berlin: Ein Herz für Anhalter

Heute werden Erinnerungen an die „Aktion Roter Punkt“ wach

Anhalter mitnehmen – das sollte für Autofahrer heute, wenn die BVG streikt, ein Gebot der Stunde sein. Jetzt hätte eine „Aktion Roter Punkt“ wieder Sinn. Vor 36 Jahren klebten sich erstmals Hunderttausende Autofahrer einen roten Punkt unten rechts auf die Windschutzscheibe. Er sollte zeigen, dass der Fahrer ein Herz für Anhalter hat. Bereit ist, wildfremde Leute mitzunehmen, sie von Bussen und Bahnen unabhängig zu machen. Anlass war 1969 – ausgehend von Hannover – der Protest gegen Fahrpreiserhöhungen im Nahverkehr und die Forderung von Studenten nach einem Nulltarif. In Hannover fuhr fast jedes zweite Auto mit dem Punkt. Der Protest hatte Erfolg, nach zwei Wochen wurden die Fahrpreise sogar gesenkt. Aber der Punkt lebte weiter. Er galt in Studentenhochburgen wie Berlin, in denen heftig gegen den VietnamKrieg der Amerikaner protestiert wurde, als „linkes“ Sympathiezeichen. Angestellte, die ihr Auto mit rotem Punkt auf dem Firmenparkplatz abstellten, bekamen oft Ärger mit dem Chef. Weil das Zeichen zunehmend politisch gedeutet wurde, warteten Anhalter, für die der rote Punkt doch gedacht war, vergeblich. Bis in die Mitte der siebziger Jahre gehörte das Zeichen, als Folie oder Papier zunehmend bröseliger geworden, zum Stadtbild. Der Punkt hinter den Windschutzscheiben alterte mit den ohnehin fast schrottreifen Fahrzeugen. Die Zeit des Protests war vorbei. Und auf den neueren Autos klebte schon ein anderes rotes Zeichen, vornehmlich hinten. Nicht rund, sondern herzförmig. Auf Empfehlung einer großen Tageszeitung bekundeten Hunderttausende von Autofahrern ihr Herz für Kinder.C. v. L.

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