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Berlin: Ein Idealstaat ohne Andersdenkende

5000 deutsche Scientologen glauben an Ron Hubbards „heilige Schriften“, der Demokratie abschaffen will

Gut 5000 Mitglieder soll die „Scientology Organisation“ (SO) deutschlandweit zählen. In Berlin könnten es rund 200 sein. Dies ist einem Bericht des Bundesverfassungsschutzes zu entnehmen. Scientology selbst nennt höhere Mitgliederzahlen. Beim Verfassungsschutz ist außerdem zu hören, dass bisher alle Versuche der SO fehlgeschlagen seien, nennenswert zu expandieren: „Die Mitgliederzahlen stagnieren seit Jahren“, so ein Sprecher. Einen Grund zur Entwarnung gebe es deshalb aber nicht.

Denn die SO bekämpfe die demokratische Grundordnung mit dem Ziel, diese durch eine „neue Zivilisation“ zu ersetzen. Wie diese aussehen soll, habe Scientology-Gründer L. Ron Hubbard in seinen Schriften bereits dargelegt: Es gehe um eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen ausschließlich für Scientologen. Daher setze Hubbards Idealstaat für Andersgläubige „wesentliche Grund- und Menschenrechte außer Kraft“, so die Verfassungsschützer. Scientology bestreitet dies. Doch deren Klage gegen den Bundesverfassungsschutz wies das Verwaltungsgericht in Köln zurück. Die Behörde darf auch weiterhin die Organisation beobachten.

Scientology tritt in Deutschland in verschiedenen Formen auf: Es gibt zwei „Celebrity Center“, wo prominente Scientologen als Zugpferde für die Mitgliederwerbung auftreten, 14 Missionen, zehn „Kirchen“ und einen „Dianetik“-Verein. Die ideologischen Aktivitäten werden von der „Church of Scientology International“ gelenkt. Sie koordiniert die Tätigkeit der Auditoren, die in strenger Hierarchie organisiert sind. Auch die Ausbildung der Geistlichen und hauptamtlich tätigen Mitglieder, die Verwaltung der Kirchen und die Verbreitung der Religion übernimmt die Mutterkirche sowie die Veröffentlichung und den weltweiten Vertrieb der Lehre. Dabei bedient sie sich zweierVerlagshäuser in den USA und Dänemark. Filme, Video-, Audiokassetten und CDs werden von der „Golden Era Productions“ hergestellt. Als Inhaber der Dianetik- und Scientology-Marken tritt das „Religious Technology Center“ auf. Hier werden die „35 Millionen gesprochenen und geschriebenen Wörter des Stifters der Scientology Religion“ vermarktet, wie es dort heißt. Einfach ausgedrückt: Es geht um den Verkauf der Ideologie.

Hubbards Bücher gelten als „heilige Schriften“, die den „Weg zur Erlösung aufzeigen“. Zur Verinnerlichung der Ideologie werden therapieähnliche Verfahren und Seminare durchgeführt. Im Rahmen von sogenannten „Auditings“, deutsch: Zu- oder Anhörungssitzungen, werden neue Mitglieder von erfahrenen Scientologen ausgefragt. Ziel ist eine Art „Reinigung“ („Clear“) von „falschen“ Vorstellungen. Während dieser Sitzungen, für die Scientologie-Anwärter bezahlen, halten diese Elektroden in den Händen. Angeblich kann der erfahrene Scientologe anhand des Stromflusses das Gespräch auf verborgene Erfahrungen lenken.

Diese therapieähnliche Technik wird mit einer Ideologie verbrämt, die eine hierarchische Struktur innerhalb der SO erzeugt. Ziel der Reinigung soll es sein, ein „frei operierender Thetan“ zu werden. In diesem Zustand finde der Mensch zu seinem ursprünglichen Zustand zurück. Dieser sei nicht an Materie, Energie, Raum und Zeit gebunden. Hintergrund: Laut L. Ron Hubbard existierte der Mensch in dieser „wahren Form“ bereits vor 350 Milliarden Jahren und vor jeder Schöpfung. Doch infolge verschiedener Katastrophen, deren Beschreibung an Sciencefiction-Romane erinnern, sei dieser ursprüngliche Zustand verloren gegangen. Da der Thetan-Zustand die oberste von acht „Operating-Stufen“ ist, die Scientologen nach der Einweisung in die Lehre im „Clear“-Zustand noch durchlaufen müssen, steigen die „Gemeindemitglieder“ umso höher in der Hierarchie auf, je mehr Geld und Zeit sie in die „Anhörungen“ investieren.

„Kritiker und Gegner ihrer Ideologie werden von Scientology als kriminell und krank diffamiert“, so Beobachtungen des Verfassungsschutzes. Dies deckt sich mit Berichten von Aussteigern, die sich angeblich unter Druck gesetzt sahen. Das Verwaltungsgericht in Köln stellte Ähnliches in seinem Urteil fest: Gegner von Scientology sollten nach Auffassung der Organisation durch Zwang entfernt oder ruiniert werden.

Operationen dieser Art werden den Verfassungsschützern zufolge von einen „Direktor für Spezielle Angelegenheiten“ begleitet. Dieser sammelt Informationen über SO-Gegner, etwa öffentliche Äußerungen oder Kritik gegen die Organisation und soll diese an das „Religious Technology Center“ in den USA melden.

Dem Verfassungsschutz zufolge verfolgt Scientology seit einigen Jahren eine neue Strategie. Von neuen Zentren aus soll die Ideologie stärker in politischen Kreisen verankert werden. Bereits 2005 meldeten die Verfassungsschützer, dass sich Scientologen in Hamburg und Stuttgart verstärkt um diesen Status bemühten. Nun konzentrieren sich die Bemühungen auf Berlin. Das Zentrum in Charlottenburg ist das größte und modernste Gebäude der Organisation im Lande. Die Nähe zum politischen Machtzentrum und Verbänden passe ins Bild der Expansionsstrategie. Böse Zungen sehen darin die Verleugnung gescheiterter Pläne – die wenigen Mitglieder würden sich in den neuen Hallen verlaufen.

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