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Berlin: Ein Jahr nach dem Höhenflug folgte das historische Tief

Wie Berlin seit 1990 wählte: Nach der Wende fuhr Helmut Kohl 40 Prozent ein, bei der Wahl 1998 lag die SPD weit vor der CDU – doch bei den Berliner Wahlen 1999 stürzten die Sozialdemokraten ab

Wenn es nach dem Trend ginge, gäbe es bei der Bundestagswahl zumindest in Berlin keine Überraschungen: Die SPD hat die Führungsrolle inne, die CDU kann froh sein, wenn sie ihre Talfahrt stoppt, die PDS bleibt stabil, die Grünen ebenfalls - und die Liberalen werden mehr oder weniger knapp dies- oder jenseits der Fünf-Prozent-Hürde landen. Doch der Trend ist nicht alles – 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, lagen die politischen Gewichte in der Stadt noch ganz anders: Die CDU hatte mit Helmut Kohl fast 40 Prozent der Zweitstimmen errungen, die Sozialdemokraten wenig über 30. Und die FDP fuhr damals ein Ergebnis ein, über das sie in diesem Jahr glücklich sein dürften: 9,1 Prozent. Dass fast jeder zweite Berliner für eine schwarz-gelbe Koalition votierte, hat es seither nie mehr gegeben. Acht Jahre später hatte sich das Verhältnis zugunsten von Rot-Grün genau umgekehrt.

Dabei wissen die Berliner Wähler allerdings durchaus zwischen Bund und Land zu unterscheiden. Denn das Oberwasser, das die Berliner Sozialdemokraten nach dem Machtwechsel im Bund bekommen hatten, war schnell verflogen, als die Ergebnisse der Abgeordnetenhauswahl nur ein Jahr später feststanden. Während Kohl keine Chance mehr hatte, wurde Eberhard Diepgen in Berlin klar bestätigt – und die SPD musste bei der Abgeordentenhauswahl 1999 mit 22,4 Prozent der Zweitstimmen ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten hinnehmen. Spekulation bleibt, was gewesen wäre, wenn sich die Berliner Sozialdemokraten den Rückenwind der Bundestagswahl 1999 sofort zunutze gemacht hätten. An Überlegungen in Richtung Neuwahlen und ein Ende der Großen Koalition im Abgeordnetenhaus fehlte es bekanntlich nicht – Peter Strieder wurde ebenso als Spitzenkandidat ins Gespräch gebracht wie Walter Momper, der ein Jahr später mit einer historischen Wahlschlappe abgestraft wurde. So mussten die Sozialdemokraten weiter warten und konnten erst 2001 Neuwahlen erzwingen – mit dem bekannten Ergebnis. Auch hier ist die „was-wäre-gewesen-wenn“-Frage reizvoll: Möglicherweise hätte ein früheres Bekanntwerden der Bankenaffäre, als Rot-Grün im Bund sich noch größerer Sympathien erfreute, ganz andere Machtkonstellationen in Berlin zustande gebracht.

Als gesichert kann dagegen gelten, dass die politischen Gewichte in den beiden ehemaligen Stadthälften unterschiedlich verteilt sind und sich dieser Gegensatz in den Jahren seit der Wende weiter polarisiert hat. Während 1990 im Ostteil SPD, CDU und PDS mit in etwa gleichen Stimmanteilen (die SPD lag mit 31.3 Prozent vor 24,3 Prozent für die CDU und 24,8 Prozent für die PDS) in die bundesdeutsche Demokratie starteten, hatte sich im Laufe von acht Jahren der CDU-Anteil immer weiter verringert. Bei der Bundestagswahl 1998 kam die CDU im Ostteil auf nur noch 14,7 Prozent der Zweitstimmen, die Grünen errichten 7,9 Prozent. .

Im Westteil dagegen konnte die PDS bis vor vier Jahren noch nicht richtig Fuß fassen und arbeitete sich in den Jahren von 1990 bis 1998 von 1,4 auf gerade einmal 2,7 Prozent hoch. Hier haben sich die Grünen klar als drittstärkste Kraft etabliert – vor vier Jahren kamen die Grünen auf 13,5 Prozent, während die FDP von 9,9 Prozent vor zwölf Jahren auf 6,7 Prozent herabrutschte.

Mit Spannung wird schließlich erwartet, wie hoch die Wahlbeteiligung wird. Sie lag in Berlin 1990 bis 80,6, 1994 bei 78,6 und vor vier Jahren bei 81,1 Prozent. Während 1990 im Ostteil nur 76 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben, im Westteil dagegen 83,4 Prozent, hat sich dieser Abstand über die Jahre auf nur noch 1,6 Prozentpunkte Unterschied verringert. Und ein Fünftel aller Wähler hat bereits abgestimmt – so hoch war der Briefwähler-Anteil noch nie in Berlin. Jörg-Peter Rau

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