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Berlin: Ein Kiez unter Beobachtung

Nachbarn sind ratlos Alle warten auf die Mutter

Bei den Nachbarn herrscht noch immer Ratlosigkeit. Im „Relax“, dem Billardcafé am Ende der Straße, in der die Kinder wohnten, scheint die Sache hingegen klar zu sein. „Das muss eine Rabenmutter gewesen sein“, sagt der Wirt. „Die war sogar noch schlimmer als eine Rabenmutter“, weiß ein Gast am Tresen.

Uwe Hein, weiße Haare, etwa Mitte 50, wohnt im selben Haus wie die Familie, gleich unten im Erdgeschoss neben dem Treppenaufgang. Die Kinder hat er mehrmals die Woche gesehen, „die waren höflich, immer schön leise, gegrüßt haben sie auch“. In welcher Lebenslage die vier waren, habe man ihnen nicht angesehen. „Ungepflegt wirkten die jedenfalls nicht.“ Der Mutter wünscht Uwe Hein jetzt eine „lange Gefängnisstrafe“. Er sagt, er sei ihr seit dem vergangenen Sommer „vielleicht zwei- oder dreimal“ im Hausflur begegnet. Mehr als flüchtig gegrüßt habe die Frau aus dem dritten Stock nie, aber das sei mit den Leuten von der zweiten und der vierten Etage auch nicht anders.

Seit kurzem geht es im Treppenhaus deutlich lebhafter zu. Reporter und Fotografen laufen von Stock zu Stock, um etwas Neues über die Mutter und ihre Kinder zu erfahren. „Ich könnte hier Snacks verkaufen und reich werden“, sagt ein Nachbar. Er ärgert sich über die Fremden, die seit Tagen an seiner Tür klingeln. Draußen, auf der anderen Straßenseite, parkt ein dunkler Mercedes. Es ist der schickste Wagen weit und breit. Darin sitzt ein Fotograf mit gezückter Kamera, er wartet darauf, dass die Mutter nach Hause kommt. Vielleicht, um die vermüllte Wohnung aufzuräumen. Kann sein, dass er noch lange warten muss.

Das Jugendamt will nun klären, ob die Mutter kooperationsbereit ist und die Situation im Interesse der Kinder ändern möchte. Am heutigen Montag ist das nächste Gespräch mit ihr geplant.

Der letzte Fall von Verwahrlosung liegt erst eineinhalb Monate zurück. Anfang März wurden Feuerwehrleute von Nachbarn zu einer verqualmten Wohnung in Oberschöneweide gerufen, in der sie ein zweijähriges Mädchen und einen fünfjährigen Jungen entdeckten, die mit dem Feuerzeug Kleider in Brand gesteckt hatten. Um sie herum lag Müll, im Zimmer nebenan zechte die Mutter mit Verwandten.

Die Zahl solcher Fälle steigt seit Jahren: Im Jahr 2006 registrierte die Polizei 582 Verletzungen der Fürsorgepflicht, zwei Drittel mehr als im Vorjahr. Allerdings besagt dies nicht, dass Kinder entsprechend öfter vernachlässigt werden. Polizeistatistiker führen den Anstieg auch auf die wachsende Sensibilität in der Bevölkerung zurück. Durch die vielen Medienberichte sei die Bereitschaft gestiegen, Fälle anzuzeigen. sel/cs

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