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Berlin: Ein kreativer Job: Geständnisse eines Sprayers

Ja, mich hat die Polizei mal erwischt. Ich hatte in den Ferien auf dem Bau gearbeitet und an meinem freien Tag die Dosen eingepackt.

Ja, mich hat die Polizei mal erwischt. Ich hatte in den Ferien auf dem Bau gearbeitet und an meinem freien Tag die Dosen eingepackt. Hundertmal hatte ich unter der alten Eisenbahnbrücke gemalt. An jenem Tag muss es irgendjemanden gestört haben, dass ich mich an diesem grauen Betonpfeiler verging. Pech.

Ich sprühe, um neben meinem heutigen Bürojob und meinem alltäglichen Leben etwas Kreatives zu produzieren. Ich habe nicht viele Talente, aber sprühen kann ich ganz passabel. Berlin ist wie eine Galerie, die Stadt ändert täglich ihre Architektur, wir die Farben – auch wenn sich das sehr pathetisch anhört.

Zugegeben, ich bin seit jenem Nachmittag ängstlicher geworden. Ich will meine Zukunft nicht ruinieren, ich bin erwachsen, habe einen Job. Aber was das Sprühen ausmacht: Es ist nun mal ein sehr schönes Gefühl, sein eigenes Bild auf einem Zug zu sehen. Graffiti ist eine Kombination aus illegalem Handeln, Anspannung, Kreativität, auch Aufmerksamkeit. Viele Menschen bleiben ja vor den Bildern stehen und grübeln, was zu sehen ist. Buchstaben? Figuren? Alles. Die Jugend.

Sprüher werden mittlerweile behandelt wie Typen, die mit einer Waffe in eine Bank marschieren und Kinder als Geiseln nehmen. Kameras und Späher beobachten die Gleise, auf denen nachts die Bahnen stehen. Aber wenn doch eine besprühte Bahn morgens vom Gleis rollt, ist das wie ein kleiner, heimlicher Sieg. Graffiti ist so etwas wie Extremsport.

Natürlich ist die Kritik zu verstehen. Sie richtet sich vor allem gegen die allseits verhassten Schmierereien der Ghetto-Kids. Ein gutes Bild dauert nun einmal zwei, vielleicht drei Stunden, Schmierereien nur Sekunden. Die sind wie Hundekot, überall in der Stadt.

Doch fahrt mal die Stadtbahn entlang. Schaut auf die Hauswände. Schaut auf die Farben. Sollte alles glatt verputzt sein? Mit Werbetafeln zugeklebt? Wär’ das noch Berlin? Kümmert euch eine Minute mehr am Tag um die Jugend. Und gebt den Mauerpark wieder zum Sprühen frei.

Der Autor, 26, sprüht seit 1993. Sein Name ist der Redaktion bekannt.

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