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Berlin: Ein kultivierter Raubzug durch Berlin

Unter seinen Opfern gilt der schwarze Riese als galant. Die Polizei ist weniger gut auf den Serientäter zu sprechen. Eine Spurensuche

Ein kultivierter Mann. Groß, milchkaffeebraune Haut, schlank, modisch gekleidet, höflicher Umgangston: Ach, Sie schließen gleich? Dann komme ich wohl besser morgen wieder! Denn ich hätte Interesse an den spanischen Weinen. Na, dann bis morgen, auf Wiedersehen!

Zwei Minuten später hatte der Verkäufer seinen letzten Kunden schon fast vergessen, da stand der Hüne plötzlich wieder in dem spanischen Spezialitätengeschäft, zog eine Pistole, lud sie durch, zwang den Angestellten und seinen Bekannten auf den Boden, verlangte Geld. Als einer der Männer seine Brieftasche aus der Hose nestelte, forderte der Räuber: „Die Kasse!“ Wenige Sekunden später war der Verbrecher in der Dunkelheit verschwunden, mit ihm knapp 340 Euro.

Die Polizei nennt ihn den „schwarzen Riesen“, derzeit fahndet sie fieberhaft nach ihm. 16 Mal hat er bereits zugeschlagen, immer nach dem gleichen Muster. Meist hält sich der Täter an Videotheken, aber hat auch schon Geschäfte, Tankstellen und ein Hotel überfallen. Vermutlich gibt es derzeit in Berlin keinen Polizisten, der auf seiner Streife nicht auch nach dem großen, schwarzen Mann Ausschau hält. Dutzende dunkle, braune und schwarze Passanten wurden festgehalten und überprüft – nur der Richtige war offenbar bislang nicht darunter.

Spurensuche. Es war der 16. Januar, als der schwarze Riese gegen Mitternacht diesen Weg genommen hat. In der Lichtenberger Weitlingstraße, am Supermarkt vorbei und dem leeren Parkplatz. Es war sein erster Überfall, im „Video Inn“. Noch sprach in der Stadt niemand über den schwarzen Riesen, noch lachte keiner über die genarrte Polizei. Im Video Inn ist von Schadenfreude nichts zu spüren. „Ich weiß nicht, was daran witzig sein soll“, knurrt der Mann am Counter. „Es ist doch unglaublich, dass die Polizei ihn noch nicht hat!“

Ende Januar gab es Hoffnung. Da nahmen die Ermittler einen Gambier fest, aber während der Mann in Untersuchungshaft saß, ging die Raubserie weiter. Vielleicht war der erste Beutezug besonders lukrativ, vielleicht war’s alte Verbundenheit. Jedenfalls marschierte der schwarze Riese am 6. Februar in der Weitlingstraße noch einmal durch die Glastür. Zückte die Pistole. Entkam mit der Beute. Beschleicht das Team jetzt jeden Abend ein flaues Gefühl? Der Verleiher winkt ab. „Der will nur das Geld. Ich glaube nicht, dass er seine Pistole benutzen würde.“

Es klingt absurd, aber unter seinen Opfern genießt der schwarze Riese einen guten Ruf. „Der ist ja fast galant. Der will einem nichts tun“, sagt der Pächter im Getränkemarkt zwei Straßen weiter. Am 4. Februar stand der Riese in seiner Tür, unter dem Arm eine Collegetasche, darin die Pistole. Man kannte sich vom Sehen, denn ein paar Tage zuvor war der Kunde schon einmal durch die Gänge geschlendert. Um sich umzuschauen. Diesmal verlangte er die Scheine aus der Kasse, knapp 1000 Euro. „Scheiß aufs Geld, solange es nicht an die Gesundheit geht“, sagt der Mann zwischen den bunten Getränkekisten. Trotzdem: Die Glastür wird jetzt abends immer abgeschlossen. Wer kaufen will, muss klopfen. In Sachen schwarzer Riese ist der Mann inzwischen zum Experten geworden: „Wat? Beim letzten Mal war die Pistole inner Plastiktüte? Dann war er’s nicht!“

Tatsächlich weiß es die Kripo nicht. Ob es wirklich nur einer ist, zwei oder sogar drei Täter. Den Gambier jedenfalls ließen die Ermittler nach ein paar Tagen auf freien Fuß.

Tatort Kreuzberg. Er hat in der „Spanischen Quelle“ im Staub gelegen, er hat in den Lauf der Pistole geschaut. Albträume quälen den jungen Verkäufer in der Markgrafenstraße seitdem aber nicht. „Dazu lief das Ganze zu kultiviert ab.“ Der Räuber sei nicht aggressiv aufgetreten, wirkte nicht getrieben, der „wusste genau, was er macht“. Derweil hat sich der Verkäufer den Mann mit der eng anliegenden Pudelmütze gut eingeprägt: Knapp zwei Meter groß, Ende zwanzig, dünner Oberlippenbart, große braune Augen, normaler Augenabstand, markante Brauen. . .

Vom Gentleman-Verbrecher will die Polizei nichts hören, nicht bei einem, der mit einer Pistole durch die Gegend zieht. Eine Phantomzeichnung existiert vom schwarzen Riesen bis heute nicht. Weil Mitteleuropäer Schwarze nicht so gut beschreiben können, sagt die Polizei. Und weil Mitteleuropäer Schwarze nicht gut voneinander unterscheiden könnten. Eine Phantomzeichnung könne daher eher schaden als nützen, sagt Chefermittler Manfred Schmandra. „Wir müssen uns davor hüten, dass in der Stadt Jagd auf Schwarze gemacht wird.“

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