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Berlin: Ein Mahnmal gegen den Krieg

Das Banale aus leider albernem Agenturanlass ein- für hoffentlich allemal gleich obenan: Nie wurde die vor 40 Jahren eingeweihte Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche "Jesus-Garage" genannt. Und nur anfangs recht beiläufig wurde die Turmruine der alten Gedächtniskirche mit einem "hohlen Zahn" verglichen.

Das Banale aus leider albernem Agenturanlass ein- für hoffentlich allemal gleich obenan: Nie wurde die vor 40 Jahren eingeweihte Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche "Jesus-Garage" genannt. Und nur anfangs recht beiläufig wurde die Turmruine der alten Gedächtniskirche mit einem "hohlen Zahn" verglichen. Weder für die Turmruine, noch für den Neubau hat sich irgendein Spitzname eingebürgert, wie das in diesen Tagen über Nachrichtenagenturen verbreitet, von den Medien einfach nachgeplappert wird. Gewiss, recht flüchtig spie der Spottmund bei der Entscheidung für Egon Eiermanns Entwurf etwas von "Lippenstift und Puderdose", gab es eine Witzbolderei derart: "Eiermann is nich unser Mann" - aber es kam nie zu einem Spitz- oder Spottnamen für die Gedächtniskirche. Sie wurde vor 40 Jahren am dritten Advent in einem Festgottesdienst mit dem streitbaren Bischof Otto Dibelius eingeweiht.

Es war eine von der soeben errichteten Mauer des SED-Regimes sehr bedrückte Adventszeit. Dibelius richtete in diese Beklemmung hinein den Ruf des Propheten aus dem Alten Testament an das bedrängte Volk Israel: "Land, Land, Land - höre des Herrn Wort!" Er sprach so und wurde auch so verstanden. Und setzte hinzu, was auf einer Glocke geschrieben steht: "Städte sind im Feuer verbrannt, aber mein Heil bleibt ewig und meine Gerechtigkeit hat kein Ende."

Wenn aus Berliner Abkürzungs-Gewohnheit Kaiser Wilhelm I. weggelassen wird, also nur von "Gedächtniskirche" die übliche Rede ist, dann bekam diese Abkürzung in der Verbindung von Turmruine und Neubau einen tragenderen als ursprünglichen Hintersinn. Die jahrelange, in der Berliner Bevölkerung beispiellos leidenschaftlich geführte Auseinandersetzung um einen Abriss der Ruine und einen Neubau oder einen Neubau mit bewahrter Turmruine, bezog aus der noch frischen Erinnerung des Krieges die Rechtfertigung, ein Mahnmal gegen jeden Krieg zu errichten. Berlin hat etliche Wahrzeichen. Die Gedächtniskirche ist nicht nur ein Wahrzeichen, sie ist in dieser Zusammenstellung gedacht als Mahnmal. Und diese Zeitung nahm in der leidenschaftlichen Auseinandersetzung um die Erhaltung der Turmruine eindeutig Stellung fürs Wahrzeichen. Als endlich die Entscheidung gefallen war, schrieb Günter Matthes: "Der Senat hat den Schlußstrich unter die Auseinandersetzungen gezogen, die doch nur gezeigt haben, wieviel uns jeder Zug im Antlitz unserer Stadt bedeutet."

Die alte Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche war kein architektonisches Ereignis. Sie war die versteinerte Verbindung von Thron und Altar. Der Bau wurde in der Nacht nach Totensonntag 1943 zerstört, fünf Jahre nach dem 9. November, als Synagogen in Brand gesteckt, Geschäfte jüdischer Kaufleute zerstört und Menschen ermordet wurden. Ursula von Kardorff notierte in ihren sehr lesenswerten "Berliner Aufzeichnungen 1942 bis 1945" dies: "Die Gedächtniskirche eine leuchtende Brandfackel. Zum erstenmal wirkte sie wie ein romanischer Bau." Doch der ragenden Turmruine gewannen die Berliner viel Mahnendes ab, ja sahen sie als einen Teil von sich sellbst. Man muss heute nur mal in den Kurfürstendamm-Bussen hinhören, wenn kleine Kinder fragen, was es mit der Ruine auf sich habe. Und zuhören, wie schwer es Erwachsenen fällt, ihnen den Kriegsbezug in der kunterbunt-friedlichen Stadt zu erklären.

Die vor 40 Jahren eingeweihte neue Gedächtniskirche nimmt das Bruchstück gewissermaßen in ihre Mitte. Und neben dem Kreuz auf dem neuen Turm ist es ein anderes Kreuz im alten, das am allerstärksten deutlich macht, was es mit diesem Mahnmal auf sich hat: das Nagelkreuz von Coventry. Es ist das Zeichen für Versöhnung, Frieden. Die neue Kirche, ihr Turm und ihre Nebengebäude sind mit der Turmruine als eine Einheit zu begreifen. Und dass es dazu kam, dass Egon Eiermann schließlich seine Bedenken überwand, den alten Turm einzubeziehen, ist wesentlich auch einer Bevölkerung zu verdanken, der es nicht einerlei war, wie das "Antlitz ihrer Stadt" aussehen wird, die sich einmischte.

Heute um 11 Uhr beginnt in der Gedächtniskirche ein Festakt. Bischof Wolfgang Huber spricht über "Kirche im Wandel der Zeit", und zwei TU-Wissenschaftlerinnen referieren über den Neubau. Am Sonntag um 10 Uhr folgt ein Festgottesdienst.

Ekkehard Schwerk

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