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Berlin: Ein Pikser gegen das Vergessen

Alzheimer galt bisher als unheilbar. Nun entwickeln Wissenschaftler weltweit neue Therapien: In Schweden und den USA testen sie einen Impfstoff, Berliner bieten Früherkennung an

Jeden Morgen, kurz nach dem Aufstehen, schluckt Konrad Beyreuther, Deutschlands renommiertester Alzheimer-Forscher, einen kleinen Pillencocktail zum Schutze seiner grauen Zellen. 400 Milligramm Vitamin E („natürliches, aus Weizenkeimextrakt, nicht künstlich hergestelltes!“), Vitamin B inklusive Folsäure, 300 Milligramm Vitamin C, fünf Mikrogramm Selen in Form von Bierhefe, 100 Milligramm Aspirin und jede Menge Magnesium. In sein Müsli schneidet sich der Alzheimer- Papst von der Uni Heidelberg 200 Gramm Obst, sorgt dafür, dass er ausreichend Omega-3-Fettsäuren zu sich nimmt und lässt den Tag mit einem Glas Wein ausklingen. Wobei – hin und wieder werden es auch mal zwei...

Beyreuther weiß genau, dass es gegen Alzheimer keine 100-prozentige Prophylaxe gibt. Im Ernstfall lässt sich die Demenzerkrankung selbst mit einer noch so gesunden Diät nicht aufhalten. Denn das Beta-Amyloid ist hartnäckig. Beta-Amyloid, das ist der Stoff, den Beyreuther maßgeblich miterforscht hat und der, wie man vermutet, zu Alzheimer führt. Genauer gesagt: die Verklumpung der Amyloid-Moleküle – die „Alzheimer-Plaques“.

Beta-Amyloid entsteht im Gehirn andauernd, als Spaltprodukt des Eiweißes APP. Welche Rolle das Eiweiß in den Nervenzellen genau spielt, wird noch erforscht. Sicher ist: Nachdem es seine Aufgabe erledigt hat, wird es in kleine Teile zerschnitten, und dabei bildet sich manchmal auch das Beta-Amyloid. Die Amyloid-Moleküle wiederum können sich zusammentun, und wenn das passiert, scheinen sie gleichsam zu versteinern. Der molekulare Müll sammelt sich an den Zellen und zerstört sie, was zu Symptomen führt wie Orientierungslosigkeit und Gedächtnisverlust. Je weiter die Zerstörung fortschreitet, desto tiefgreifender löst sich die Persönlichkeit der Patienten auf, bis sie in vollkommener Leere versinken.

Nun aber entwickeln Wissenschaftler rund um die Welt ein Mittel, das weitaus mächtiger sein könnte als Beyreuthers Cocktail, weil es gezielt darauf zugeschnitten wird, den schädlichen Beta-Amyloid- Klumpen im Gehirn den Garaus zu machen: einen Alzheimer-Impfstoff.

In den USA testet man bereits in 30 Zentren eine solche Vakzine, in Schweden ist ebenfalls eine Studie angelaufen. Das Interesse ist groß: Die Menschen rufen bei den Forschern und Firmen an, schreiben E-Mails, wollen auf eigene Kosten anreisen, um sich impfen zu lassen. Doch noch befinden sich die Impfstoffe allesamt in der Testphase. Sie werden nur per kleiner Stichproben geprüft – und nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen.

Das hatten auch die Pioniere einer ersten Impfstudie an Menschen feststellen müssen, die 2001 anlief. Damals erlitten die Biotech-Firmen Elan und Wyeth mit ihrem Präparat namens AN1792 eine bittere Niederlage: Von 300 getesteten Patienten entwickelten 18 eine lebensgefährliche Hirn- und Hirnhautentzündung. Im Januar 2002 brach man die Studie ab. „Man ist damals zu schnell, zu forsch vorgeprescht“, urteilt Beyreuther heute.

Jetzt setzen die Pharmaforscher auf eine andere Strategie. Der Impfstoff der Pionierstudie bestand aus dem ganzen Beta-Amyloid-Molekül – für die Tests in Schweden, mit 30 Patienten an der Karolinska-Uniklinik in Stockholm und 30 in Malmö, haben die Herstellerfirmen Novartis und Cytos nur Teile des Moleküls genommen.

Die Fragmente wurden an eine Art Virushülle geheftet, die helfen soll, das Immunsystem zu aktivieren. Wird der Körper auf diese Weise mit dem Beta-Amyloid konfrontiert, stuft das Immunsystem es als fremd und feindlich ein. „Wir hoffen, dass dann eine weitere Bildung von Beta-Amyloid ausbleibt“, sagt Rainer Kuhn, der leitende Alzheimerforscher von Novartis. Manche Studien haben sogar gezeigt, dass das Gehirn durch einen Impfstoff von dem Beta-Amyloid geradezu gesäubert wurde. „Was genau passiert und wie es funktioniert, wissen wir noch nicht“, sagt Kuhn. Vermutlich heften sich die Antikörper an die Ablagerungen, die daraufhin von speziellen Fresszellen regelrecht einverleibt werden.

Offenbar war es eben diese Abwehrreaktion, die in der Pionierstudie von 2001 über das Ziel hinausgeschossen war: Das Immunsystem einiger Patienten hatte auch gesunde Hirnstrukturen angegriffen. „Deshalb setzen wir nur einen Ausschnitt des Beta-Amyloids ein“, sagt Kuhn – in der Hoffnung, dass die Reaktion sanfter ausfällt.

Darauf hofft man auch bei der „passiven“ Impfung, einem anderen Ansatz, den man unter anderem an der Yale-Universität in den USA verfolgt. Dabei werden die Antikörper zunächst in Zellkulturen hergestellt und dem Patienten erst dann gespritzt. Vorteil: Der Körper wird nicht mit dem Feind konfrontiert und wirft deshalb auch nicht die ganze Abwehrmaschine an, die Nebenwirkungen sind geringer. Nachteil: Da das Immunsystem die Antikörper nicht selbst herstellt, müssen sie immer wieder neu gespritzt werden, das ist lästig und teuer.

Eine funktionierende Alzheimer-Impfung wäre ein Segen für unsere alternde Gesellschaft. Schon heute leiden zehn Prozent der 70- bis 80-Jährigen in Deutschland an Alzheimer. Bei den 80- bis 90-Jährigen sind es 20 Prozent, bei den 90- bis 100-Jährigen 40. Insgesamt sind bis zu 1,4 Millionen Deutsche betroffen.

Und doch könnte man auch mit einer Impfung „nur“ vorbeugen, aufhalten – nicht heilen. So zeigt eine Untersuchung der Patienten aus der ersten Impfstudie, dass viele von der Behandlung zwar profitierten: Diejenigen, die Antikörper gegen Beta-Amyloid gebildet hatten, schnitten in Erinnerungstests besser ab als jene, bei denen die Immunantwort ausgeblieben war. Der geistige Verfall verlangsamte sich. Keiner der Patienten aber konnte geheilt werden – zu sehr schon hatten die Ablagerungen das Hirn geschädigt.

„Deshalb ist es so wichtig, nicht nur die Impfung, sondern auch die anderen Forschungsrichtungen voranzutreiben“, sagt Beyreuther. Etwa die Früherkennung. In Berlin wollen die Neurologen Wolfgang Droll vom Brain Center und Gerald Ulrich von der Charité die Messung von Hirnwellen nutzen, um Alzheimer frühzeitig festzustellen. Die Forscher vermuten, dass sich bereits Veränderungen des EEG beobachten lassen, bevor erste Gedächtnisprobleme auftauchen. „Wenn ein Patient mit 70 erste Alzheimer-Symptome zeigt, dann hat der Prozess der Erkrankung meist schon mit 50 angefangen“, sagt Ulrich. Weil das Gehirn nur schleichend degeneriert, bemerken Patienten wie Ärzte die Krankheit aber erst, wenn bereits 90 Prozent der grauen Masse zerstört sind. Ulrich hofft, den Hirnschwund mit dem EEG im Vorfeld entdecken zu können. Andere Forscherteams entwickeln Bluttests mit demselben Ziel.

In fünf Jahren, schätzt Beyreuther, könnte die erste passive Impfung marktreif sein, „eine sehr optimistische Schätzung“. Die aktive Impfung wird noch länger auf sich warten lassen, „bestimmt zehn Jahre“, meint Kuhn. Darüber, was sie kosten wird, lässt sich noch nichts sagen. Zu den besten und zugleich preiswerten Schutzmitteln, derer wir uns bis dahin alle bedienen können, gehören: geistige Regsamkeit und eine gesunde Ernährung.

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