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Berlin: Ein Sieg der Moral Streckenposten

Andrea Eskau hat beim Handbiking die Marathon-Weltmeisterin abgehängt. Weil die als arrogant gilt, freut sich die ganze Szene

Andrea Eskau stößt schrille Jubelschreie heraus, ein Dutzend mal, es hört sich an wie triumphales Indianergeheul. Es war sehr knapp, eine Sekunde Vorsprung nur, aber es hat gereicht. Sie hat Monique Vorst besiegt. Die dominierende Figur der Handbikerinnen. Die zweimalige Marathon-Weltmeisterin, die Frau, die seit Jahren kein Rennen mehr verloren hat. Bis am Sonntag Andrea Eskau aus Apolda nach 1:15,50 Stunden durchs Ziel rollte. Eine Sekunde vor der Konkurrentin.

1:15,50, das istWeltbestzeit.

„Ich war einfach mal dran“, sagt die 34-jährige Eskau. Sie ist im Zielraum, Konkurrentinnen gratulieren herzlich. Sie wissen, wie hart die Duelle zwischen Eskau und Vorst sind. In Frankfurt, vor einem Jahr, betrug der Vorsprung der Niederländerin ein paar Millimeter. Aber sie war vorne. Wie immer. Doch jetzt sagt Andrea Eskau: „Das ist ein Ereignis.“

Das ist die eine Geschichte dieses Sieges. Es gibt noch eine zweite. Die hängt eng damit zusammen, wie andere Fahrerinnen Andrea Eskau gratulieren. Höflich umschrieben, sagt eine, dass die Monique sich jetzt zu Tode ärgere. In Wirklichkeit sagt sie etwas viel Drastischeres und der Satz trieft vor Schadenfreude. Denn Monique Vorst ist unbeliebt in der Handbikerszene. Die erst 20 Jahre alte blonde Niederländerin gilt als arrogant und überheblich. Sie nehme sich Frechheiten heraus, sagen die anderen Fahrerinnen. „Sie hat mir schon Sachen hingeworfen, wo ich dann sage: Hör mal Mädchen, ich bin fast 15 Jahre älter als du“, sagt Eskau über Vorst. Das müsse sie sich nicht bieten lassen.

Andrea Eskau, von Beruf Diplom-Psychologin, fährt erst seit zweieinhalb Jahren. Das Handbiking sollte eigentlich nur eine Reha-Maßnahme sein nach einem schlimmen Radunfall, als sie im Krankenhaus aufgewacht ist und hörte, dass sie querschnittsgelähmt ist. Vor dem Unfall war sie Triathletin, sie hatte gute Grundlagen fürs Handbiking. Bei ihrem ersten Rennen fuhr sie gleich auf Rang drei, dann ging alles sehr schnell. Der erste Sieg, Aufstieg in die Nationalmannschaft, Aufstieg in die absolute Weltspitze. Ihr Team bezahlt ihr jetzt ein Trainingslager im Jahr, es stellt ihr Material, mehr will Andrea Eskau auch nicht.

Monique Vorst ist dagegen seit vielen Jahren querschnittsgelähmt und auch das Handbiking betreibt sie seit vielen Jahren. Bei diversen Rennen erhält sie Startgelder. In den Niederlanden wird sie wegen ihrer Siegesserie von den Medien gefeiert. Eskau weiß das. Aber auch Eskau hat Titel erkämpft: Sie ist Vize-Weltmeisterin im Marathon und Vize-Europameisterin über 30 Kilometer. Und nichts gebe Monique Vorst das Recht, andere Fahrerinnen schlecht zu behandeln, sagt Eskau.

Plötzlich rollt Monique Vorst auf sie zu. Die Wangen gerötet, der Blick hart. „Ich habe Protest gegen die Wertung eingelegt“, sagt sie zu Andrea Eskau. „Ich musste auf der Zielgeraden abbremsen, weil mir ein Mann vom Organisationskomitee in den Weg gelaufen ist.“ Außerdem gebe es ein Foto: Monique Vorst Erste, Andrea Eskau Zweite. „Ich weiß nicht, ob du gewonnen hast“, sagt sie noch. Dann rollt sie wieder weg.

Andrea Eskau hat im Finish keine Störung bemerkt. Sie glaubt auch nicht, dass die zweimalige Weltmeisterin abgebremst hat. „Dann kommt man nie wieder auf Geschwindigkeit.“ Und wenn? „Ich bin in Frankfurt auch behindert worden und nur Zweite geworden. Da hat Monique gesagt, das ist halt so. So läuft ein Rennen.“ Auf jeden Fall lässt sie sich das nicht gefallen. „Wenn dieser Protest durchgeht“, sagt sie, und die Stimme klingt jetzt sehr drohend, „frage ich den Organisator, ob er noch alle Latten am Rost hat.“ Der Protest wurde abgelehnt.

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