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Berlin: „Ein unglaublich unflexibles System“

Weg mit dem Beamtentum, mehr Leistungsanreize und Privatisierung: Verwaltungsexperte Harmut Bäumer fordert eine radikale Reform des öffentlichen Dienstes

Wo sind die Schwachstellen des Öffentlichen Dienstes?

Nach meinen Erfahrungen, die ich in Bayern, Hessen, NordrheinWestfalen und in Berlin gesammelt habe, hat die Verwaltung überall dieselben Probleme. Sie ist zu wenig kundenorientiert, es fehlt Verständnis für wirtschaftliches Handeln und zuerst wird geprüft: Haben unsere Entscheidungen vor dem Verwaltungsgericht Bestand? Aber wenn eine juristisch perfekte Baugenehmigung zu spät erteilt wird, kann ich sie in den Ofen werfen. Als ich in Berlin eine Beraterfirma gründete, hat die Eintragung der GmbH ins Handelsregister etwa ein halbes Jahr gedauert. So etwas habe ich überhaupt noch nicht erlebt.

Warum ist die öffentliche Verwaltung so?

Der öffentliche Dienst ist das Ergebnis eines historischen Prozesses, der starre Strukturen und kulturell fest verwurzelte Verhaltensmuster hervorgebracht hat. Schauen Sie sich das Beamtenrecht und den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) an! Das sind unglaublich unflexible Systeme, die aufgegeben werden sollten. Die Rechtsliteratur dazu füllt zehntausende Seiten; den BAT verstehen nur noch wenige Experten. Auch das Personalvertretungsrecht muss auf den Standard privater Betriebe zurückgefahren werden, um Mitarbeiter flexibler und effektiver einsetzen zu können.

Sie wollen ein neues Dienst- und Tarifrecht?

Jedenfalls ein weniger kompliziertes System von Tarifverträgen; so wie es in der Industrie üblich ist. Ohne das öffentliche Zulagenunwesen. Alterszulagen beispielsweise müssen unbedingt gekippt werden. Wenn jemand finanziell besser gestellt werden soll, dann junge Mütter und Väter.

Öffnungsklauseln, um Tarife regionalen Besonderheiten anzupassen, sind der richtige Weg?

Das kann ich nur unterstützen, als einen ersten, aber längst nicht ausreichenden Schritt.

Im öffentlichen Dienst gibt es fast keine Leistungsanreize für gute Leute.

Stimmt. Aber es gibt interessante Modelle, etwa für „Bandbreiten-Vergütungen“: Innerhalb weniger Gehaltsklassen können die Mitarbeiter, je nach Aufgabe und Leistung, einkommensmäßig hin- und herwandern. Über Zielvereinbarungen und Punktesysteme lässt sich das steuern und kontrollieren.

Vielleicht ist das öffentliche Personal einfach überfordert. Oder schlecht ausgebildet.

Wir sollten nicht auf die Mitarbeiter schimpfen. Es gibt vor allem ein Führungsproblem. Es fehlt Führungsqualifikation auf allen Ebenen. Die Rekrutierung erfolgt – abgesehen von der üblichen Ämterpatronage – nach rein fachbezogenen oder Dienstaltersgesichtspunkten. Aber ein guter Jurist ist noch längst kein guter Gerichtspräsident und ein hervorragender Ingenieur nicht unbedingt ein guter Leiter des Wasserwirtschaftsamtes. Es wird auch zu wenig fortgebildet.

Ist der öffentliche Dienst besonders schlecht?

Im europäischen Vergleich steht die deutsche Verwaltung im guten Mittelfeld. Wir können uns sicher mit Frankreich oder Spanien messen, aber von Dänemark, den Niederlanden oder der Schweiz können wir noch einiges lernen.

Wie viel Staat brauchen wir noch?

Berlin ist ein Paradebeispiel dafür, wie es nicht sein sollte. Beide Teile der Stadt hingen bis 1990 am Tropf. Einen Modernisierungszwang aus Geldnot gab es nicht; immer neue Aufgaben wurden draufgesattelt anstatt zu fragen: Was sind die Kernkompetenzen, was muss der Staat selbst erledigen? Der Staat muss beispielsweise gewährleisten, dass wir ein gutes Gesundheitssystem haben. Aber das kann unter privater Regie geschehen. Öffentlich-private Konkurrenz belebt das Geschäft.

Ein konkretes Beispiel?

Die Sicherheit der Bürger muss der Staat natürlich direkt gewährleisten. Mit Hilfe der Polizei. Aber polizeiliche Hilfsdienste, etwa in Fußballstadien, sollten die Vereine selbst bezahlen oder eigene Sicherheitskräfte einsetzen. In der technischen Verwaltung, beim Hoch- und Tiefbau gibt es viele Aufgaben, die private Auftragnehmer erledigen können. Das gilt auch für die Datenerhebung in statistischen oder in Umweltbehörden.

Brauchen wir noch Beamte?

Der Beamtenstatus sollte aufgehoben werden. Mit Ausnahme klassisch hoheitlicher Bereiche: Justiz, Polizei, Finanzen und Streitkräfte. Das Laufbahnrecht sollte aufgegeben und die Verwaltungs-Fachhochschulen ausgegliedert werden. Zwischen Privatwirtschaft und staatlicher Verwaltung müsste ein reger personeller Austausch stattfinden.

Das Gutachten, an dem Sie mitgearbeitet haben, befasst sich auch mit den Schulen. Könnte Berlin davon lernen?

Die Kommission befürwortet eine möglichst selbstständige Schule – bis hin zur eigenverantwortlichen Einstellungen von Lehrpersonal. Die Schulen müssen stärker in Wettbewerb zueinander treten. Die Arbeitszeit der Lehrer müsste mehr Anwesenheit sicherstellen und mehr für den Unterricht verwendet werden. Für die Leitung großer Schulen wäre ein Manager vielleicht besser geeignet als ein Oberstudiendirektor. Wir können uns auch eine Beurteilung der Lehrer durch die Schüler vorstellen; so wie es anderswo eine Vorgesetztenbeurteilung durch die Mitarbeiter gibt. Das Gutachten enthält eine Reihe weiterer konkreter Reformvorschläge, und natürlich müssen Lehrer keine Beamte sein.

Jetzt, da die öffentlichen Kassen leer sind, drohen Landesregierungen mit betriebsbedingten Kündigungen. Macht das Sinn?

Es ist eine unakzeptable Situation, dass in Berlin betriebsbedingte Kündigungen zwischen Senat und Gewerkschaften vertraglich ausgeschlossen sind. Als Instrument in sehr schwierigen Zeiten müssen auch betriebsbedingte Kündigungen möglich sein. Drohungen verhärten allerdings die Fronten.

Die Bürger interessieren sich nicht für interne Verwaltungsabläufe. Sie wollen kurze Wege, rasche Bedienung und einfache Formulare.

Nach meiner Erkenntnis lassen sich durch ein gutes Zeitmanagement in den Behörden fast alle Vorgänge um mindestens 50 Prozent beschleunigen. Und zwar ohne Hektik und zusätzlichen Arbeitsdruck. Eine zentrale Anlaufstelle für Bürger und Unternehmer - auch das ist wichtig, funktioniert aber nur, wenn die Verwaltungsstellen eng miteinander vernetzt sind.

Wer einen Internet-Anschluss hat, möchte Behördengänge auch per Computer erledigen. Ist die Verwaltung so zukunftsfähig?

Für Nordrhein-Westfalen hat die Kommission vorgeschlagen, eine zentrale E-Gouvernmentstelle einzurichten. Damit in der Verwaltung Kommunikationssysteme aufgebaut werden, die zueinander passen. So lässt sich viel Geld sparen. Aber die beste PC-Ausstattung und die schönsten Computerprogramme nützen nichts, wenn die alte Verwaltungskultur sich nicht ändert. Die einzelnen Mitarbeiter müssen mehr Verantwortung und Entscheidungsbefugnisse übertragen bekommen. Sie müssen lernen, in Alternativen zu denken anstatt nachzuweisen, dass etwas nicht geht. Das heißt konkret: wir brauchen eine kulturelle Veränderung, die einer Revolution in der Verwaltung nahe kommt.

Das Gespräch führte Ulrich Zawatka-Gerlach.

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