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Berlin: Ein Urteil – und viele Zweifel

Die Freisprüche für zwei der Brüder lösen heftige Kritik aus. Gelobt wird die hohe Strafe für den Schützen

In Kreuzberg verbreitete sich die Nachricht vom Freispruch in weniger als einer Stunde. Schon mittags wurde es dann für jeden, der am Kottbusser Tor ein Kopftuch trug oder auch nur dunkle Haare hatte, schwierig, den Reportern mit den Mikrofonen und Kameras zu entkommen. Nur wenige Meter entfernt, im vierten Stock eines renovierten Altbaus, hieß man derweil Freunde und Verwandte zur Feier willkommen. „Wir waren endlich mal wieder alle zusammen“, sagt Arzu Sürücü, die 22-jährige Tochter des Hauses. Das heißt, fast alle: Denn den jüngsten der drei angeklagten Brüder hatte das Gericht am Donnerstag wegen Mordes zu fast zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Und dann tat Arzu Sürücü, was viele an diesem Abend in Deutschland machten: Sie nahm die Fernbedienung und lauschte den Kommentaren der Politiker und Experten zum Sürücü-Urteil. Es gefiel ihr nicht sonderlich, was sie da sah. Während die einen von einem „schwarzen Tag für die Demokratie“ sprachen und den Freispruch für die zwei älteren Brüder als ein „falsches Signal“ beklagten, begrüßten die anderen vor allem die verhältnismäßig hohe Gefängnisstrafe für Ayhan Sürücü oder forderten für die Zukunft „null Toleranz“, härtere Gesetze, ein strengeres Vorgehen oder bessere Aufklärung.

Die Islamismus-Expertin Claudia Danschke warf vor allem der Staatsanwaltschaft Versäumnisse vor. Das Umfeld der stark an dem radikalen Prediger Metin Kaplan orientierten Familie sei im Prozess nicht beleuchtet worden. Der Grünen-Europaparlamentarier Cem Özdemir sagte: „Wenn man weiß, dass solche Mordurteile im Familienrat gefällt werden und der Jüngste ausgesucht wird, weil man bei ihm das geringste Strafmaß erwartet, dann sendet dieses Urteil das falsche Signal in die Gesellschaft.“ In diese Kerbe schlägt auch der PDS-Politiker Giyasettin Sayan, wenn er von „türkischen Verhältnissen“ im Rechtsstaat Deutschland spricht. „Auch in der Türkei muss der Jüngste die Tat ausführen und die anderen kommen frei.“

Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, zeigte sich „sehr erleichtert“ über die hohe Strafe für den jüngeren Bruder. „Wir müssen dafür sorgen, dass solche Täter zur Verantwortung gezogen werden.“ Das Gericht habe mit dem Urteil gezeigt „Mord bleibt Mord“, sagte Integrationsbeauftragter Günter Piening und begrüßte das Urteil. Einen „Kulturbonus“ gebe es nicht. Zugleich sprach Piening von einem unguten Gefühl, weil zwei Brüder aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurden.

Der CDU-Spitzenkandidat Friedbert Pflüger forderte die Abschiebung des wegen Mordes verurteilten Ayhan Sürücü. Angesichts der Schwere der Tat müsse der heute 20-Jährige nach seiner Haft in die Heimat seiner Eltern zurückkehren. Derweil hat Innensenator Ehrhart Körting (SPD) der Familie Sürücü die Ausreise in die Türkei nahe gelegt. Offenbar sei ein Großteil der Familienmitglieder nicht in Deutschland angekommen, sagte Körting. „Wenn sie unsere Werte so erkennbar ablehnen, kann man sie nur fragen: Warum bleibt ihr überhaupt hier?“

Über diese Forderung lacht Arzu Sürücü jetzt am Telefon, aber auch die anderen Vorwürfe weist die junge Frau als Klischees zurück. „Herr Körting kann uns ja gerne mal besuchen, dann trinken wir einen Tee, und er kann uns kennen lernen.“

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