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Berlin: Ein „Vereinigungskind“ geht

In 60 Minuten durch Berlin: Der 348er war einmal

Jeder dritte Stammgast der wendigen, stets gut besuchten und vergleichsweise komfortablen Linie 348 entbot gestern Mittag beim Einsteigen dem freundlichen Fahrer ein trauriges Adieu als letzten Gruß vor dem Ableben des flotten kleinen Gelben. Die Fahrpläne dieser wahren MetroLinie, die in genau 60 Minuten quer durch die Stadt fährt, sind bereits von den Haltestellen-Schildern getilgt, auf der elektronischen Anzeige am Kleistpark läuft die Zeile „Ab 12.12: Bus 348 entfällt, Bus 148 häufiger“.

Abschied ist ein scharfes Schwert, die Leute sind sauer, das spürt man. „Das alles ist total unüberlegt, ja, idiotisch“, sagt der Fahrer, „ich kenne keinen Kollegen, der dafür Verständnis hat.“ Die Linie schlängelt sich vom S-Bahnhof Storkower Straße bis zum U-Bahnhof Breitenbachplatz, an beiden Enden der Strecke gibt es überhaupt keinen Ersatz, ganze Schulklassen dürfen nun laufen, und im Mittelteil werden die Fahrgäste zum Umsteigen in die Busse 200 und 148 genötigt. Haben die Wegrationalisierer von der BVG-Führung jemals die Fahrer gefragt, ob das sinnvoll ist? Kein Stück. Dabei hätte ihnen unser Mann am Steuer gesagt, was diese Tour mit ihren 44 Stationen bedeutet: „Das ist ein Vereinigungskind!“ sagt er, „Es war vor über zehn Jahren die erste neue Linie nach dem Hunderter, die Ost und West miteinander verbindet.“ Sie durchfährt sechs Bezirke, zwischen der „Platte“ im Osten und gutbürgerlicher West-Wohngegend liegen Szenebezirke und Touristenmagneten wie die „Linden“ und der Potsdamer Platz – und das dazu passende Publikum: höfliche Leute, Egozentriker, Multikultis, Jungunternehmer, Studenten. Und viele Touristen auf ihrer Sightseeing-Tour auf Rädern per Busticket.

Gab es denn gestern zum Abschiedstrost irgendwelche Blümchen oder Bonbons vom lieben Fahrgast? „Nöö. Auf solche Ideen kommen vielleicht nur noch ein paar ältere Muttchen.“ Lo.

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