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Berlin: Ein zweites Leben

In der Charité waren die Ärzte mit einer einmaligen Operation erfolgreich: Stefanie H., seit 15 Jahren unheilbar krank, bekam acht neue Organe auf einen Schlag eingepflanzt

Blass sieht Stefanie H. aus, dünn und zerbrechlich, wie sie da in ihrem Rollstuhl sitzt. Die meiste Zeit muss sie ihr Gesicht hinter einem Mundschutz verstecken, der sie vor gefährlichen Keimen in ihrer Umgebung bewahren soll. Das Immunsystem der 36-Jährigen ist künstlich geschwächt – damit ihr Körper die neu eingepflanzten Organe nicht wieder abstößt. Insgesamt acht sind es, die ein vierköpfiges Ärzteteam der Charité um den Transplantationsmediziner Peter Neuhaus gleichzeitig austauschte: Leber, Bauchspeicheldrüse, Magen, Zwölffingerdarm, Dünndarm, Teile des Dickdarms, rechte Niere und rechte Nebenniere.

Erstmalig in Europa sei so ein komplizierter Eingriff gelungen, teilte das Universitätsklinikum stolz mit. Zwölf Stunden Schwerstarbeit für die Operateure, bei der sie die nicht mehr funktionstüchtigen Organe der schwerkranken Patientin herausholten und durch die gesunden des Spenders ersetzten. „Mir wurde ein zweites Leben geschenkt“, sagt Stefanie H. jetzt, zwei Monate nach der Operation.

Vor 15 Jahren begann der Leidensweg der Osnabrückerin. Nach einer Darmspiegelung diagnostizierten Ärzte bei ihr „Morbus Crohn“, eine Darmerkrankung. Normalerweise bekommt man die Krankheit, deren Ursache noch immer nicht gänzlich geklärt ist, mit Medikamenten gut in den Griff. Doch bei Stefanie H. nahm sie einen außergewöhnlich schweren Verlauf. Der Verfall kam Stück für Stück. „Fast im Jahrestakt lag ich in der Klinik, wo die Ärzte jedesmal wieder ein Stück des Darmes entfernen mussten“, sagt sie. Nach jeder Operation schöpfte sie Hoffnung, dass es nun endlich überstanden sei. Vergeblich. Ab April 2002 schließlich musste die Patientin intravenös ernährt werden, weil der Darm für eine Verdauung zu kurz war. Und es wurde immer schlimmer. Als nächstes versagten Leber und Bauchspeicheldrüse. Wegen der unzureichenden Flüssigkeitszufuhr fielen auch die Nieren aus.

Im Juni 2003 kam Stefanie H. an die Klinik für Transplantationschirurgie der Charité, Campus Virchow-Klinikum. Zeitweise fiel sie ins Koma. Ihr Leben war in Gefahr. „Es gab keine Lösung mehr außer einer Transplantation aller geschädigten Organe“, sagt Andreas Pascher, ihr behandelnder Arzt. Die Klinik stellte einen Antrag bei der europäischen Transplantationszentrale „Eurotransplant“, die europaweit Organspender vermittelt. Im Dezember 2003 schließlich war ein geeigneter Spender gefunden. Über die Herkunft verweigert die Klinik aus Datenschutzgründen jede Auskunft. Die Charité-Mediziner entschieden sich, alle Organe komplett in einer Operation auszutauschen. „Der Bauch und die Organe der Patientin waren durch die ständigen Eingriffe der vergangenen Jahre so vernarbt, dass sie nicht mehr zu trennen waren, ohne großen Schaden anzurichten“, sagt Andreas Pascher.

Der riskante Eingriff gelang. Schon ging es der Patientin besser, so dass man sie auf normalem Wege ernähren konnte. Die fremden Organe, die jetzt ein Teil von ihr sind, funktionieren. Inzwischen ist sogar ein Entlassungstermin in greifbarer Nähe: „Wenn die Rehabilitation weiter so gut läuft, können wir sie in vier Wochen entlassen.“

Stefanie H. plant ihr zweites Leben bereits durch. Sie will in ihren alten Beruf als Kauffrau für Wohnungswirtschaft zurück. „Endlich wieder zu Hause wohnen“, sagt sie. Schließlich lebt sie seit November 2001 ununterbrochen im Krankenhaus. „Und italienische Gerichte, am besten mit viel Pasta.“

Doch ganz ohne die Ärzte wird sie nicht mehr auskommen. Sie ist von nun an für eine lange Zeit untrennbar mit ihrer Berliner Transplantationsklinik verbunden. „Zunächst wird sie einmal die Woche zu uns kommen müssen zur Nachkontrolle“, sagt Pascher. Später werde wohl 14-täglich genügen. Und die Medikamente, die ihr Immunsystem daran hindern, die neuen Organe abzustoßen, an die ist Stefanie H. für den Rest ihres Lebens gebunden. Aber – es ist ein Leben.

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