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Berlin: Eine Ära geht zu Ende

Bildungssenator Böger hat alles getan, was möglich war

Drei Schulleiter ziehen ein Fazit Klaus Böger geht, er kann erhobenen Hauptes gehen. Er hatte die größten Herausforderungen zu bestehen, er hatte die schlechtesten Bedingungen, um sie zu bewältigen. Er hat das Mögliche erreicht.

Erinnern wir uns: Die deutsche Pisa–Hysterie drängte in allen Bundesländern zu hektischen Veränderungen. Die Berliner Schulen hatten keinen guten Ruf; in Berlin wurde der fatale Zusammenhang von Herkunft und Schulerfolg schmerzlich deutlich. Unterrichtsausfall trieb die Eltern auf die Straße. Es musste gehandelt werden. Diesem Veränderungsdruck durfte sich kein Schulsenator entziehen.

Böger entzog sich nicht. Die Liste ist beeindruckend: Ein neues Schulgesetz, frühere Schulpflicht, Sprachstandsmessung, Lernausgangslagefeststellung, Frühenglisch, Vergleichsarbeiten, flexible Schulanfangsphase, erste Fremdsprache ab Klasse 3, Einführung des Faches Naturwissenschaften in den Klassen 5 und 6, verlässliche Halbtagsgrundschulen, Ganztagsgrundschulen, Mittlerer Schulabschluss, sechsjährige Oberschule, Zentralabitur, Probeabitur, Förderung der Hochbegabten, größere Eigenverantwortung der Schulen, Schulinspektion. Dazu kam noch unter der Überschrift „Standards und Kompetenzen" eine radikale bundesweite Neuausrichtung der Rahmenlehrpläne. Kurzum: Kein Berliner Schulsenator der letzten Jahrzehnte hat so viel auf den Weg bringen müssen und auf den Weg gebracht wie Klaus Böger.

Zu viel? Zu viel auf einmal? Ja.

Zu viel zum einen, weil Gesetzgeber und Verwaltung kaum Schritt halten konnten; denn sie mussten viele neue Regelungen für hochkomplexe Zusammenhänge entwickeln. Kein Wunder, dass Ungereimtheiten und Provisorien unsere Eltern und Lehrer noch immer verunsichern und verärgern.

Zu viel zum anderen, weil Finanzsenator Sarrazin die notwendigen Mittel nicht geben wollte oder nicht geben konnte. Böger sollte finnische Verhältnisse herbeiführen, aber finnische Ressourcen wurden ihm verweigert. Fast alle Maßnahmen mussten sich unter das Joch der Kostenneutralität beugen. Lehrer wurden, wenn überhaupt, nur unter sehr schlechten Bedingungen eingestellt. Jene mit gutem und sehr gutem Examen gingen oftmals in andere Bundesländer, wo sie nicht den Berliner Junglehrerlohn, sondern bis zu 1000 Euro im Monat mehr bekamen und zudem Beamte wurden. Ihr Schwung und frisches Know-how ist für unsere Schulen verloren. Insider wissen, wie hart Böger um Stellen gekämpft hat. Angesichts der Finanznot der Stadt hat er zwar Teilerfolge, aber keine grundsätzliche Änderung erreichen können; sein Verdienst bleibt, dass er Schlimmeres abwenden konnte.

Da keine Verstärkung finanziert wurde, sollten die Reformen durch vermehrte Anstrengungen der vorhandenen Lehrer realisiert werden. In Bögers Zeit fallen – in der Argumentation zudem miserabel vermittelt – Arbeitszeitverlängerungen und Gehaltseinbußen. Damit sind die Reformen an eine Grenze der Umsetzbarkeit in den Kollegien gestoßen, wo oftmals – anders als Stammtisch und Kabinettstisch wohl glauben – die Grenzen des Leistbaren längst erreicht sind. Man denke an den Hilferuf des Rütli–Kollegiums.

Dieser intensiveren Nutzung der Lehrer–Arbeitskraft dient auch eine neue aus der Betriebswirtschaft stammende Steuerung der Schulen. Durch Leitbilder, Zielvereinbarungen und Evaluation soll der Unterrichtserfolg gesteigert werden. Ob diese Maßnahmen mehr als nur Papier produzieren und auch den konkreten Unterricht erreichen, bleibt abzuwarten. Die Lehrer sind hier eher skeptisch – zumal dann, wenn evaluierte Schwächen wieder nur mit Bordmitteln zu beheben sind.

Für den Außenstehenden war zu erkennen, dass Klaus Böger einen schweren Stand nicht nur gegen den Finanzsenator und den Regierenden Bürgermeister, sondern auch gegen die Ideologen der Regierungsparteien hatte. Diesen Kampf hat er häufig gewonnen, aber im Fall des Ethikunterrichts verloren. Gegen sein Votum wurde die traditionsvergessene und organisatorisch unsinnige Lösung des Pflichtfaches Ethik durchgesetzt und sein vernünftiger Vorschlag einer Wahlmöglichkeit zwischen Ethik und Religion verworfen.

Was bleibt?

Die strukturellen Änderungen sind verdienstvoll und nicht mehr reversibel. Der personelle Flurschaden, den andere zu verantworten haben, wird in den nächsten Jahren noch schärfer sichtbar werden. Es bleibt die Erinnerung an einen fairen und verlässlichen Senator, der unter widrigen Umständen grundlegende Änderungen im Berliner Schulwesen durchgesetzt hat.

Wir hoffen, dass ihm eine ebenso pragmatische Persönlichkeit im Amte folgt. Sie sollte das Erreichte konsolidieren und die neu geschaffenen Strukturen endlich personell füllen, damit die Berliner Lehrerschaft sich mit Zeit und emotionaler Kraft ihrem Kerngeschäft zuwenden kann: Erziehung und Bildung.

Hinrich Lühmann, Leiter des Humboldt–Gymnasiums in Tegel

Karl Pentzliehn, Leiter der Gustav–Heinemann–Gesamtschule in Marienfelde

Jutta Steinkamp, Leiterin der Herbert– Hoover–Realschule in Gesundbrunnen

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