zum Hauptinhalt

Berlin: Eine Brandenburgische Kerzen-Werkstatt mit Tradition

Eine schlichte Fotografie der Dorfkirche muss dem Kerzenzieher als Vorbild genügen. Aus einer dünnen Schicht rotbraunen Bienenwachses sticht Klaus-Peter Klenke die Umrisse von Kirchenschiff und Turm sowie der Fenster- und Türbögen.

Eine schlichte Fotografie der Dorfkirche muss dem Kerzenzieher als Vorbild genügen. Aus einer dünnen Schicht rotbraunen Bienenwachses sticht Klaus-Peter Klenke die Umrisse von Kirchenschiff und Turm sowie der Fenster- und Türbögen. Details werden so gut wie möglich berücksichtigt. Denn wenn heute Abend und an den Feiertagen die Kerze angezündet werden, wollen sich die Kirchengemeinde und ihre Gäste an ganz besonderen Exemplaren erfreuen: Die großen Altarkerzen zeigen dank der Fingerfertigkeit des Kunsthandwerkers das Abbild der eigenen Kirche. Es klebt aus Bienenwachs an den bis zu 1,50 Meter langen und im Durchmesser bis 14 Zentimeter dicken Kerzen.

Klaus-Peter Klenke brauchte sich gerade in den vergangenen Wochen um das Geschäft keine Sorgen zu machen. Dem einzigen Brandenburger Kerzenzieher flatterten Aufträge aus allen Gegenden ins Haus. Darunter waren beispielsweise die Berliner St. Hedwigs-Kathedrale und der Magdeburger Dom. Während noch heute einige Weihnachtsaufträge abgearbeitet werden, stellen sich die sechs Angestellten gedanklich schon auf den nächsten Höhepunkt ein: Das Osterfest mit ganz anderen Motiven auf den Kerzen.

Der Besucher fühlt sich in der Kerzen-Werkstatt in Reetzerhütten, südwestlich Berlins im Kreis Potsdam-Mittelmark gelegen, wie in einer alten Alchimistenstube. Überall zischt, brummt und blubbert es. Manche Handgriffe muten wie ein Überbleibsel aus der vorindustriellen Zeit an. Der 42-Jährige bindet sich beispielsweise eine einfache Wachstuchschürze um, nimmt aus einem großen Bottich eine Schöpfkelle flüssigen Paraffins, steigt damit auf ein kleines Podest und übergießt die wie an einem Karussell hängenden Rohlinge. Der Vorgang wird noch ein paar Mal wiederholt, bis dann tatsächlich eine handgezogene Altarkerze nach anschließendem Bekleben oder Bemalen verkauft werden kann.

Für die normalen Exemplare drehen sich zwei große Holztrommeln, zwischen denen ein langer Docht gespannt ist. Bei jedem Zug durch die Paraffin-Behälter wird die Wachsschicht etwas dicker. Nach drei bis vier Stunden werden die Wachsstangen auf Kerzenlänge geschnitten und per Hand angespitzt. "Sehr reich können wir durch unsere Arbeit nicht werden", sagt Klaus-Peter Klenke. "Billig-Importe aus China und anderen Ländern ziehen die Preise in den Keller." Dafür könnten sich die Mitarbeiter wenigstens das Geld für Kaugummi oder Salben sparen, meint er scherzhaft. Denn überall sei das Erdölprodukt Paraffin das Ausgangsmaterial.

Eigentlich müsste auf den Packungen der Hinweis auf Handarbeit stehen. Denn handgezogene Kerzen tropfen kaum, besitzen eine ruhige Flamme und geben durch die Beimischung von Bienenwachs ein besonders warmes Licht. Doch der Firmeninhaber winkt ab. "Vor lauter Arbeit kommen wir gar nicht zum Nachdenken. 2000 verschiedene Artikel müssen irgendwie bewältigt werden." Kenner merken vielleicht bei dem Firmennamen Buchal auf, unter denen die Kerzen aus Reetzerhütten verkauft werden. "Doch die meisten Leute schauen ohnehin nur auf den Preis und fragen dann erst nach Qualität", beschreibt Klenke sein kleines Dilemma.

Inzwischen liefert er aber sogar an alte Traditionsfirmen im Osten, die zwar ihren alten Namen behalten haben, aber sich längst nicht mehr die mühevolle Handarbeit leisten können. Doch der Kundenstamm reicht inzwischen ins ganze Bundesgebiet. So manche Kerze in festlich geschmückten bayerischen Kirchen stammt aus Brandenburg. Auch in vielen Berliner Haushalten werden handgezogene Kerzen heute Abend leuchten. Klaus-Peter Klenke oder seine Frau verkauften in den vergangenen Wochen täglich ihre Erzeugnisse auf dem Spandauer Weihnachtsmarkt.

Glücklicherweise besteht bei dem Reetzerhütter Kerzenzieher keine Sorge um ein Aussterben der alten Handwerkskunst. "Das würde bei unserer langen Tradition niemand verstehen", weist der Kleinunternehmer jegliche Gedanken in diese Richtung zurück. In Stichpunkten rasselt er die Firmengeschichte herunter: 1922 Gründung durch Großvater Buchal in Eichenau in Schlesien, ein Jahr später Eröffnung einer Firma in Berlin-Neukölln durch den Bruder des Großvaters, die Firma aus Schlesien verschlug es nach dem Krieg ins brandenburgische Reetzerhütten, danach immer eigenständig geblieben bis heute. Seine Mutter habe jeglichen Angeboten einer Verstaatlichung der Firma erfolgreich widerstanden. Die Aufträge der Kirchen und die Produktion von Puppenkerzen für Leuchter und Pyramiden sicherten das Überleben.

Da es aber den alten Beruf des Wachsziehers offiziell nicht mehr gab, erwarb der heutige Chef seine Kenntnisse über Umwegen: Er wurde Meister der chemischen Industrie und später Diplom-Ingenieur. Seit 1992 kostet der nun das "Vergnügen der Marktwirtschaft" aus, wie er sagt. Das hat sich nicht zuletzt im breiteren Sortiment niedergeschlagen. Neuerdings werden Biergläser mit Wachs gefüllt, kleine Gebetsbücher als Souvenir hergestellt oder Duft- und Musikkerzen aller Art hergestellt. Inzwischen firmiert die kleine Werkstatt sogar als Attraktion bei Busausflügen. Besuchergruppen stehen dann ziemlich überrascht vor den Tischen der Mitarbeiter, die mit viel Geschick und Ausdauer eine der wichtigsten Utensilien für einen gelungenen Weihnachtsabend herstellen.

Klaus-Peter Klenke öffnet seine Werkstatt gern für Neugierige. Eine vorherige Anmeldung unter der Telefonnummer 0 38 49/5 03 66 ist ratsam. Es findet auch ein preisgünstiger Verkauf von Kerzen aller Art statt. Reetzerhütten liegt bei Wiesenburg, von Berlin aus über die A 2 bis Abfahrt Wollin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false