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Nachmittags, irgendwo in Wedding. Tag und Nacht wachen schwerbewaffnete Polizisten vor dem Haus. Denn der Täter läuft noch immer da draußen rum. Foto: rtr

© REUTERS

Berlin: Eine Familie unter Polizeischutz

Mehmet Yildirim ist noch immer auf der Flucht, die Ermittler haben ihre Spezialisten auf ihn angesetzt Dabei war seine Gewalt aktenkundig. Und er ist nicht der Einzige, der Frauen in der Stadt brutal angreift

Die meistgesuchte Person der Stadt ist weiter auf der Flucht. Auch zwei Tage nach dem Doppelmord in Wedding fehlte bis zum Redaktionsschluss am späten Samstagabend eine Spur zum 25-jährigen Mehmet Yildirim. Der Mann hatte am Donnerstag seiner Ex-Frau Feride C. aufgelauert und deren Schwester und Mutter in einem Auto erschossen sowie ihren Bruder durch einen Kopfschuss schwer verletzt. Ferit C. ist mittlerweile außer Lebensgefahr, teilte die Polizei am Samstag mit. Die 24-jährige Exfrau des Täters blieb unverletzt, weil sich ihre Mutter schützend auf sie geworfen hatte.

Das Landeskriminalamt hat die Spezialisten vom Zielfahndungskommando auf den Mann angesetzt, zudem ermittelt eine Mordkommission. Polizisten, die fließend türkisch sprechen, befragen intensiv Familie und Bekannte. Und weil die Schusswaffe noch immer nicht gefunden wurde, geht die Polizei davon aus, dass der aus der Türkei stammende Schütze weiter bewaffnet ist. Für eine Festnahme steht deshalb ein Spezialeinsatzkommando bereit.

Feride C. hatte sich vor einem Jahr von Yildirim getrennt. Nach Angaben von Bekannten der Familie soll er dies nicht ertragen haben. Mehrmals hat er seine Exfrau körperlich angegriffen. Die Fotos, mit denen die Polizei nach der Tat nach ihm gefahndet hat, wurden bei den vorangegangenen Ermittlungsverfahren gemacht; gestern veröffentlichen die Ermittler nun ein aktuelleres Foto. Gegen Yildirim gab es Strafanzeigen wegen Bedrohung und Körperverletzung, zudem soll er gegen das Gewaltschutzgesetz verstoßen haben.

Wie berichtet, hatte Feride C. vor Gericht eine sogenannte Wegweisung durchgesetzt. Zum Schutz kann ein Gericht nach einer Körperverletzung anordnen, dass ein Mann sich einer Frau nicht nähern darf oder generell Orte meiden muss, an denen sich die Frau aufhalten könnte. Zudem kann die Kontaktaufnahme per Telefon, SMS oder E-Mail verboten werden. Ein Verstoß gegen eine dieser Auflagen ist bereits eine Straftat. Sie kann mit einer Geld- oder einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet werden.

Für das vorige Jahr nennt die Polizeiliche Kriminalstatistik 1027 derartige Straftaten. Das waren 223 mehr als noch im Jahr zuvor – eine Steigerung von 28 Prozent. Unter den Tatverdächtigen waren 38,5 Prozent „Nichtdeutsche“, wie es in der Kriminalstatistik heißt. Was im Fall von Feride C. genau geschehen war, um diese Wegweisung durchzusetzen, ist unklar. Ein Gerichtssprecher lehnte jegliche Auskunft ab, da es sich um eine „Familiensache“ handele.

Nun wacht die Polizei vor dem Haus der Familie C. in Wedding – vermutlich so lange, bis der bewaffnete Täter gefasst ist. Die Beamten vor dem großen Glaseingang sind mit Maschinenpistolen ausgerüstet, Polizeiautos parken sichtbar am Straßenrand. Es sei nicht ausgeschlossen, dass Yildirim versucht, „seine Mission zu vollenden“, wie es im Polizeipräsidium hieß. Angesichts der vielen Fälle sei es unmöglich, alle potenziellen Opfer durch die Polizei zu schützen. Wenn eine Frau akut in Gefahr sei, rate man ihr in erster Linie schnell zum Umzug in ein Frauenhaus, deren Adressen geheim sind.

Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums sind 40 Prozent im Rahmen einer Studie befragter Frauen seit dem 16. Lebensjahr mindestens ein Mal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt geworden. Dabei sei „die Quote von Gewalterfahrungen bei Migrantinnen noch höher und die erlittene Gewalt auch öfter mit Verletzungen verbunden als bei deutschen Frauen“. Erst vor zwei Wochen hatte das Familienministerium mitgeteilt, dass ein bundesweites „Frauenhilfetelefon“ geschaffen werden soll, das gratis und anonym Hilfe anbieten soll.

Die Berliner Polizei arbeitet beim Schutz der Opfer von häuslicher Gewalt eng mit dem Verein „Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen“ (BIG) zusammen. Alle Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, werden auf die Angebote des Vereins hingewiesen. Die Zahl der Fälle von häuslicher Gewalt ist in den vergangenen beiden Jahren geringfügig gesunken. Insgesamt gab es 16 000 Übergriffe in der Stadt – fünf Frauen kamen dabei ums Leben, in 19 Fällen spricht die Polizei von „versuchten Tötungsdelikten“.

Erst am Freitag hatte sich ein schwerer Fall von häuslicher Gewalt ereignet: Wie berichtet, war eine 21-jährige US-Amerikanerin an ihrem Arbeitsplatz in einer Bäckerei in der Schöneberger Barbarossastraße von ihrem früheren Lebensgefährten mit dem Messer attackiert und schwer verletzt worden. Die Frau musste notoperiert werden, schwebt aber nicht mehr in Lebensgefahr. Der Täter hat sich in der Nacht gestellt. Der 25-jährige Abdulrahman I. wurde festgenommen.

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