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Berlin: Eine fast unendliche Geschichte

Zahlreiche Fans sahen am Mittwoch die komplette Herr-der-Ringe-Trilogie. Dauer: zehn Stunden

Mittelalter ist nicht gleich Mittelerde. Aber die Übergänge sind fließend wie die Gewänder, die am Dienstagabend durchs Neuköllner Kino Karli wallen. Auf den ersten Blick wirken die Kostümierten der Fechtgruppe „Drachenbanner“ deshalb wie einfallsreich verkleidete Herr-der-Ringe-Fans. Sie sind aus Spandau angereist, zu achtundreißigst, um sich alle drei „Herr der Ringe“-Filme anzusehen. Zehn Stunden lang wollen sie und 900 andere Fans den Hobbit Frodo aus dem Auenland auf seiner Reise nach Mordor begleiten.

Die meisten verkörpern Gestalten aus Peter Jacksons Film-Trilogie, deren letzter Teil am Mittwoch in den Kinos anlief. Werner Thieme etwa hat einen weißen Mantel übergeworfen. Er trägt einen Bart und lange Haare, seine Fantasy-Freunde nennen ihn Landru Obtagor. Thieme sieht aus wie der Zauberer Gandalf. Nur sein spitzer Filzhut ist schwarz und nicht grau wie das Original. Den Magierumhang hat er selbst genäht. Allerdings nicht exklusiv für die Herr-der-Ringe-Vorführung. Sein Fechtclub „Drachenbanner“ verfügt über einen Kostümfundus wie ein Stadttheater. „Wir spazieren öfter auf Mittelaltermärkten rum“, sagt Thieme. Keiner musste sich für die Premiere neu einkleiden.

Im Foyer warten auch fünf schwarz gewandete Gestalteten. Ihre Gesichter sind mit dunklen Schleiern verhängt. Für die lange Nacht der Ringe im Kino haben sie sich zwei Tage Urlaub genommen. Den ersten für ein paar letzte Arbeiten an den Kostümen. Den zweiten, um auszuschlafen. Schließlich steht die Herr-der-Ringe-Trilogie in ihrer ganzen epischen Breite bevor. Es ist kurz vor fünf – Dienstagnachmittag. Irgendwann wird es kurz vor vier sein – Mittwochmorgen.

„Wenn das nicht zusammengehört“, sagt Stefan Fiedler da sehr überzeugt, nach 649 Minuten, nach vier Pausen, einer Flasche Fanta und mehreren hundert Gramm Gummibärchen. Und ohne ein einziges Mal aufgestanden zu sein aus seinem Kinosessel. „Man muss das Werk in seiner Gesamtheit sehen, sonst lernt man die Charaktere gar nicht richtig kennen“, findet er. Man könne sich mit ihnen dann nicht identifizieren, nicht miterleben, trauen, nicht weinen. „Heute sind sicher Tränen geflossen“, sagt der 28 Jahre alte Zeitungsausträger.

Fast ein Jahr lang hat Stefan Fielder auf den 16. Dezember gewartet. Darauf, dass in einer beinahe unendlich Geschichte zusammenwachsen kann, was für ihn zusammen gehört. „Der Herr der Ringe“ Teil I, II und III. Vor dem Start des letzten Streifens hat Fiedler noch einmal die literarische Vorlage von J.R.R. Tolkien gelesen. Die beiden Vorgänger-Filme hatte er schon an die zehn Mal gesehen. An vielen Stellen spricht er mit. Aber dafür, dass er die Dialoge alle auswendig kennt, muss er immer noch ziemlich oft lachen an den komischen Stellen.

Das Lachen zeigt besonders nach Mitternacht, dass kaum einer eingeschlafen ist. Auch wenn der Blick zur Leinwand starrer wird und das ruckartige Korrigieren der Sitzposition zunimmt, so wie der Griff zum Kaffeebecher oder zur Cola. „Irgendwann schafft man das doch nicht mehr, sich voll zu konzentrieren“, sagt Fiedler. Obwohl er tagsüber geschlafen hat, zur Vorbereitung. „Aber die Spannung steigt“, verkündet er, als es in die letzte Stunde geht und die entscheidenen Schlachten geschlagen werden. Der Abschluss der Trilogie gefällt ihm. Nur eines stört: „Weicht zu sehr vom Buch ab.“ Der Schlussapplaus währt trotzdem lange. Vielleicht ist das auch ein wenig Erleichterung, dass es nun vorbei ist. Zugeben würde das niemand. Auch Stefan Fiedler nicht. „Ach, herrje“, sagt er nur. Sieht auf die Uhr und geht arbeiten. Zeitungen austragen.

Johannes Gernert

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