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Berlin: Eine Frage der Botschaft

Gospelmusik hat Hochkonjunktur zu Weihnachten. Der Zuhörer muss sich zwischen Tradition und Pop entscheiden

Oh, my god, yeah! Stillsitzen und schweigen lässt die Chorleiterin Iwona Salamon vom Stettiner Gospelchor „Non Serio’s“ ihr Publikum in der Wilmersdorfer Salvatorkirche nicht. Bei einer Gospelmesse fegt ein „Glory, glory“ durch die Reihen der Kirchenbesucher. „Hallelujah, since I lay my burden down...“ – seitdem ich meine Sorgen beiseite schob – kleine Lebenshilfen, die Pater Tadeusz Zielinski dankbar aufgreift. Doch zwischen den Fürbitten verfällt das ernste Pfarrershaupt dem Groove der Musik. Unter dem Messgewand wippt ein Fuß.

Diese Kirche ist Heimat von Mario Gugeler, Leiter der Gospelgruppe „Abraxas“ und Betreiber der Berliner Gospel-Website. Wenn er selbst in die Posaune bläst, dann glühen die Backen. Dem Hobbymusiker, der mit seiner Gruppe den „Staub aus der Kirche blasen“ will, spendet diese Musik Hoffnung. Doch ohne „Partystimmung und richtig rocken“ geht es nicht, deshalb sind seine Gruppe und er im „Contemporary Gospel“ zu Hause. Seit 2000 vernetzt er mit seiner Website die hiesige Gospelszene, die bis zu 100 Gruppen zählt. Mit dem Newsletter versorgt er die Szene mit Konzerttipps und Nachrichten über neue Chöre. So über „The Gospel Friends“ unter der Leitung von Antje Ruhbaum, einem Laienchor aus der Steglitzer Markuskirche. Viel musste sie von ihrer klassischen Ausbildung über Bord werfen, bis sie heute mit Tanzeinlagen die Kirche zum Kochen bringt.

Ein anderer Wegbereiter ist Rolf Tischer, regionaler Popbeauftragter der evangelischen Kirche und seit 1997 Organisator des jährlichen Gospelchortreffens, das ganz im Zeichen des „Non Profit“ steht. Denn der Kommerzialisierung der Gospelbewegung und der Verflachung der Inhalte steht der Pfarrer eher skeptisch gegenüber.

Das treibt auch den Kirchenmusiker Christoph Zschunke um, Leiter des Chores „Spirited“, der beim diesjährigen Gospel-Award zu den Finalisten zählte. „Gospel ist Breitensport“, sagt er. Deshalb haben er und eine Reihe weiterer Chorleiter 2003 die Initiative „Gospel goes city“ gegründet. Das lockere Bündnis leistet technische Hilfe, weil die Akustik hiesiger Kirchenbauten nicht auf Gospel ausgelegt ist. Zudem will man die Vielfalt in der Stadt fördern und Kontakte zu Profis aufbauen. Zu denen gehört sicherlich die Gruppe „The Village Voices“ unter Wolfgang Thierfeldt, die schon mit Claudio Abbado und Celine Dion aufgetreten ist. Das Repertoire der „Voices“ hat sich eher in Richtung Jazz und experimentelle Musik entwickelt.

Ein Erlebnis fast meditativer Art ist die schwarze Mezzosopranistin Robin Lyn Gooch. Aus den Spirituals, die von einer Konzertharfe begleitet werden, scheint das Leid der ehemaligen Sklaven zu klingen – kein Wunder, sind doch Spirituals quasi die Urform des Gospel (siehe Kasten).

Doch Gospel wäre nicht Gospel ohne die schwarzen Gemeinden in der Stadt. Dort ist die Musik immer im Gottesdienst eingebunden. „Gospel ist eine Lebensüberzeugung“, sagt Darryl Best, Leiter zweier Chöre. „Aber den weißen Chören fehlt der Glaube an Gott.“ Diese Ansicht hat in Amerika dazu geführt, dass es eine strikte Trennung zwischen weißen und schwarzen Chören gibt – was hierzulande aber nicht der Fall ist, wie Eddie Dejean vom PFF Gospel Choir versichert. Sängerin Jocelyn B. Smith wäre trotzdem „battle of the choirs“, also einem Wettkampf der Chöre nicht abgeneigt. So kann der Zuhörer entscheiden, was ihn anspricht: Form oder Inhalt. Wobei für Jocelyn B. Smith eines feststeht: „Gospel ist Botschaft, und zwar dann, wenn der Heilige Geist in der Kirche brennt.“

Wer die Botschaft nur in homöopathischer Dosis verträgt, ist beim Gospelpop der „The Berlin Star Singers“ gut aufgehoben. Botschaften werden für eine massenwirksame Performance mit Playbacks arrangiert – und die Sängerinnen sind sehr hübsch.

Ulrike Kopetzky

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