zum Hauptinhalt

Berlin: Eine Frage der Zeit

Bahnhof Zoo, Paris-Bar oder ICC: Die alten Symbole West-Berlins verblassen, erst langsam wächst Neues

Sie sind die Symbole des neuen Berlin: der Potsdamer Platz, das Brandenburger Tor, der Pariser Platz, die Linden, der Reichstag mit Kuppel, die Museumsinsel, das Rote Rathaus. Auch das Bundeskanzleramt, der Hackesche Markt, die neue Friedrichstraße, das Szeneviertel Prenzlauer Berg. In der sich schnell wandelnden Stadt sind sie Anziehungspunkte, mit denen auch die Tourismusmanager gern in aller Welt werben. Wie mit dem Kurfürstendamm, der gerade einen Boom erlebt. Dafür geraten die anderen Wahrzeichen des „alten“ Berliner Westens zusehends ins Abseits.

Auch wenn derzeit viel im Westteil investiert wird – in der City, aber auch beispielsweise an der Steglitzer Schloßstraße –, so schwindet doch Bekanntes: Die Flughäfen Tegel und Tempelhof werden in absehbarer Zeit geschlossen, das Ende des Fernbahnhofs Zoo ist besiegelt. Die Deutschlandhalle und das ICC stehen auf der Abschussliste. Nun müssen Theaterfreunde auch um die Boulevard-Bühnen am Kurfürstendamm fürchten, weil das Ku’damm-Karree umgebaut werden soll. Die „Paris Bar“, Wohnzimmer der Stars und Starletts, gilt als gefährdet, weil sie in Finanznöten ist. Und die weithin sichtbare Kugel der einstigen alliierten Radarstation auf dem Teufelsberg wird vermutlich bald demontiert.

Viele West-Berliner haben das Gefühl, die einstige Hälfte verliere im Gesamtorganismus der Stadt an Bedeutung. Sie spüren den Verlust gewohnter Symbole – und die neuen Objekte der Identifikation sind noch nicht nachgewachsen. Auch der Hauptbahnhof wird ein Symbol des Neuen werden. Derzeit aber macht die Verlagerung des Fernverkehrs nach Mitte vielen im Westteil deutlich, dass ein wichtiges Stück ihrer Geschichte beendet ist. Dass sie von der Bahn in Randlage gerückt werden, weil es eine neue Mitte gibt. Der lange so schmuddelige Bahnhof Zoo war für die Westbezirke eben mit den Flughäfen Tempelhof und Tegel ein Wahrzeichen der Verbundenheit mit dem Bundesgebiet.

Als Symbol galt auch die in den fünfziger Jahren wieder aufgebaute Deutschlandhalle, der größte überdachte Veranstaltungsort West-Berlins. Messe und Senat wollen sie, weil neue Hallen im Ostteil entstanden, längst nicht mehr. Als Alternative erscheint nur der Abriss. Stolz eröffnete das Land Berlin vor 26 Jahren das ICC, Politiker lobten sein futuristisches Aussehen und seine moderne Technik. Das Bauwerk hatte zudem beispiellose Kosten verursacht: eine Milliarde Mark. Nun gilt das ICC als veraltet und reparaturbedürftig, so dass nur Abriss oder Verkauf möglich scheinen. Wie beim asbesthaltigen Steglitzer Kreisel-Hochhaus, das zu den verkehrsgünstigsten Rathäusern gehört. Es gibt kaum ein öffentliches Bemühen, das Haus zu retten. Stets und ständig wird in Berlin über Abriss diskutiert, der – abgesehen vom Palast der Republik – leichter scheint, je westlicher ein Bauwerk liegt.

Vom „alten Ost-Berlin“ ist in der Öffentlichkeit nie die Rede, dafür wird das „alte West-Berlin“ oft als faul, subventionsverwöhnt und verfilzt bezeichnet. Vergessen wird zum Unwillen der Berliner oft, dass die Zwei-Millionen-Metropole jahrzehntelang Hoffnung für Hunderttausende in- und ausländischer Zuwanderer war. Ein Symbol der Toleranz und kulturellen Vielfalt. Hier wurden alternative Lebensformen entwickelt, neue Wege der Stadtsanierung erprobt.

Auch die Dahlemer Museen und das Kulturforum in Tiergarten werden vermutlich zugunsten der Museumsinsel an Bedeutung verlieren. Das Rathaus Schöneberg, einst weltberühmt, ist in der Rangliste Berliner Symbole längst auf die hinteren Plätze gerutscht. Wie die Siegessäule, oder auch der Funkturm, der völlig im Schatten des zum Fußball-WM-Wahrzeichen gekürten Fernsehturms steht.

Aber das Europa-Center hält als Symbol des Westens stand, das KaDeWe ist unumstößlich, Tauentzien und Ku’damm sind im Aufwind. Fast vergessen sind frühere Kino-Symbole: Filmbühne Wien oder Gloria-Palast. Dafür flimmert am neuen Ku’damm-Eck wie einst die Leuchtwand. Sie verkündet regelmäßig Protest gegen die Bahnhof-Zoo-Pläne der Bahn. Der Westen fühlt sich eben ein wenig abgehängt. So lange, bis es neue Objekte der Identifikation gibt.

Christian van Lessen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false