zum Hauptinhalt

Berlin: „Eine Frau, die genau weiß, was sie will“

Ein bis zwei Stunden lang stritt Irene B. alles ab.

Ein bis zwei Stunden lang stritt Irene B. alles ab. Dann brach sie zusammen und gab zu, einem Patienten eine tödliche Spritze verabreicht zu haben. Sie weinte viel, schluchzte hemmungslos und sagte, dass ihr Leben nun zu Ende sei, dass sie doch für ihren Beruf lebe, erinnerte sich gestern eine Kriminalbeamtin im Prozess gegen die ehemalige Charité-Krankenschwester. In jener Vernehmung Anfang Oktober letzten Jahres habe die 54-jährige Irene B. auch erklärt, dass sie es jederzeit wieder tun würde.

Regungslos reagierte Irene B. gestern auf die Aussage der Beamtin. Wie an den drei vorangegangenen Verhandlungstagen hatte sie das Kinn leicht angehoben. Wieder wirkte sie kühl und streng. Als die Tränen bei der Vernehmung flossen, sei Selbstmitleid erkennbar gewesen, sagte die 41-jährige Polizistin. Von Reue habe Irene B. nicht gesprochen. Sie habe aber gesagt, dass es ihr leidtue. Insgesamt habe sie in den Vernehmungen sehr dominant gewirkt. Und wie eine Frau, die ganz genau weiß, was sie will und macht.

Irene B. war zunächst der Tod eines 77-jährigen Patienten vorgehalten worden. In der Vernehmung meinte sie schließlich: Ich habe ihn ganz sanft woanders hingebracht. Wenig später räumte sie ein, während ihres Dienstes auf der kardiologischen Intensivstation in das Schicksal eines 62-jährigen Mannes eingegriffen zu haben. Sie habe ihm ein nicht verordnetes Medikament verabreicht. Wie sie das Mittel Dormicum gespritzt habe, sei sie gefragt worden. Schnell wirkt schnell, soll sie geantwortet haben. Auf die Frage, warum sie das gemacht habe, gab sie zu Protokoll: Das kann ich auch nicht erklären aber dieses entsetzliche Elend.

Die Krankenschwester soll zwischen Juni 2005 und 2. Oktober 2006 sechs schwer kranke Menschen im Alter von 48 bis 77 Jahren jeweils mit einer Medikamentenüberdosis getötet haben. Zwei weitere Patienten sollen die Giftspritze überlebt haben. Doch Irene B., die vier Tötungen eingeräumt hat, sieht sich nicht als eine Frau, die sich als Herrscher über Leben und Tod aufspielte. Sie will im Willen und zum Wohle der Patienten gehandelt haben.

Bei der Kriminalbeamtin war in den Vernehmungen ein ganz anderes Bild für mögliche Motive entstanden: Nach meinem Eindruck hatte es sie genervt, dass Herr A. gestöhnt hat. In dem zweiten eingeräumten Fall sei der Eindruck entstanden, dass es ihr gegen den Strich ging, dass man den Mann noch pflegen musste, obwohl klar war, dass er sterben würde. Angst vor Entdeckung hatte Irene B. nicht. Auch das hatte die Frau, die zehn Jahre lang auf der Charité-Intensivstation gearbeitet hatte, damals zu Protokoll gegeben. Ein Kollege hat mal erstaunt geguckt, angesprochen aber hat mich keiner, sagte sie.

Tatsächlich hätten die mutmaßlichen Mordfälle allein durch Obduktionen nicht aufgeklärt werden können. Das erklärte ein Gerichtsmediziner im Prozess. Nach seinen Untersuchungen hätten auch die schweren Erkrankungen der Patienten zum Tod führen können. Als jedoch der Tötungsverdacht im Raum war, wurden chemisch-toxikologische Untersuchungen durchgeführt. Der Prozess wird am 30. Mai fortgesetzt.

Kerstin Gehrke

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false