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Berlin: Eine Heldentat, die es nie gab

Ein Zehlendorfer Mahmal erinnert an eine Legende, die aus der Propagandaküche des Kalten Krieges stammt

Das Holzkreuz auf dem Mittelstreifen der Potsdamer Chaussee in Zehlendorf wurde am 25. Juni 1953, nur eine Woche nach der Niederschlagung des Aufstands, aufgerichtet. Seither dient es, für Passanten weitgehend unzugänglich, als offizielles Berliner Mahnmal. Immer am 17. Juni kommt der Bezirksbürgermeister mit einem Kranz, 2003 war auch Klaus Wowereit da. Dabei wird stets auch der 1954 errichtete Gedenkstein einbezogen, der eine besondere Geschichte erzählt – und zwar eine, die sehr wahrscheinlich frei erfunden wurde in den Propagandaküchen des Kalten Kriegs.

Es geht um 41 Sowjetsoldaten, die sich der Legende zufolge weigerten, auf die Aufständischen zu schießen, und die deshalb selbst standrechtlich erschossen worden sein sollen, zum Teil in einem Wald bei Magdeburg, zum Teil im ehemaligen Schlachthof Friedrichsfelde. „Helden der Menschlichkeit“, wie es später hieß. Es lag in der Natur der Sache, dass die Sowjetunion diese Geschichte nicht kommentierte. Doch nach der Wende wurden die Archive geöffnet und von Historikern akribisch durchforstet – und trotz aller Bemühungen gibt es nicht das winzigste Dokument, das als Beweis dienen könnte. Dabei ist bekannt, dass jedes Standgericht von der Moskauer Militärbürokratie genehmigt werden musste. Sogar die Putin-Regierung bemühte sich um Rehabilitation der Opfer, konnte aber keinen einzigen Angehörigen finden.

Das Gerücht über die Erschießungen wurde 1954 vom russisch-ukrainischen Emigrantenbund NTS in die Welt gesetzt, einer antikommunistischen Organisation, die mit der CIA zusammenarbeitete und von ihr wohl auch finanziert wurde. Ihr Kronzeuge war der Sowjetmajor Nikita Roschin, ein Überläufer, der aber schon im April 1953 in den Westen gewechselt war und deshalb unmöglich Augenzeuge gewesen sein konnte. Er nannte die Namen von dabei erschossenen sowjetischen Soldaten – doch deren Existenz konnte bis heute genauso wenig nachgewiesen werden wie der Vorgang selbst. Der Historiker Stefan Wolle gab 2001 zu bedenken, dass sich die Russen 1953 auf besetztem Feindgebiet befanden und nach offizieller Lesart einen von den Westalliierten unterstützten faschistischen Putsch bekämpften: „Was hätte sie bewegen sollen, ihr eigenes Leben aufs Spiel zu setzen?“ Roschin sagt nichts mehr, denn seine Spur verlor sich schon 1954; er wurde vermutlich von den Amerikanern mit einer neuen Identität geschützt.

So bleibt es bei der Legende. Und in Ermangelung eines würdigeren Gedenkorts wird auch heute die Potsdamer Chaussee wieder kurz gesperrt werden, damit die Gedenk-Delegation des Bezirks den Mittelstreifen erreicht. Das Kreuz immerhin ist historisch völlig unangefochten. Bernd Matthies

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