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Achter plus Steuerfrau. Roksana Temiz mit ihren Kindern Zehra (v.l.) Esma, Ahmed, Rana, Malik-Musa, Adem, Zeynep und Meryem. Foto: dpa/Britta Pedersen

© dpa

Berlin: Eine Kita-Gruppe für sich

Vor gut vier Jahren kamen Sechslinge in einer Neuköllner Familie zur Welt – eine Sensation. Wie geht es ihnen heute?

Oft erinnert die Wohnung von Roksana und Hikmet Temiz an eine Kita. Acht Kinder hat das Paar, unter ihnen die Berliner Sensation aus dem Jahr 2008: Sechslinge. Das erste Mal seit 20 Jahren in Deutschland, und alle kerngesund. Vier Jahre alt ist die sechsköpfige Rasselbande heute. Und wenn sie nach Hause kommt, heißt es erst einmal: Schlange stehen. An der Türschwelle zieht der Vater einem nach dem anderen Schuhe und Jacke aus: Rana, Adem, Esma, Zeynep, Zehra und Ahmed. Und dann stellen sich alle zum Händewaschen an. Anders geht es nicht.

Roksana Temiz ist heute 29 Jahre alt. Drei Kinder hat sie sich früher einmal gewünscht. Doch als die älteste Tochter Meryem vier Jahre alt war, folgten nach einer Hormonbehandlung die Sechslinge. Ein Jahr später kam dann noch Söhnchen Malik-Musa dazu.

Es läuft alles am Schnürchen in der Großfamilie. Selbst beim Zähneputzen morgens und abends ist der Alltag wohlorganisiert. „Es dauert eine halbe Stunde, bis alle durch sind. Aber die Kinder brauchen eine feste Struktur und klare Abläufe“, sagt Roksana Temiz.

Charité-Professor Wolfgang Henrich und sein Team holten die Frühchen am 16. Oktober 2008 nach nur 27 Schwangerschaftswochen auf die Welt. Rund drei Monate mussten die Babys in der Klinik bleiben, dann begann der Alltag. „Die Versorgung war erst wie Fließbandarbeit“, erinnert sich die Mutter. Noch schwerer sei es geworden, als die Kleinen anfingen zu krabbeln.

Doch längst nicht alles ist heute perfekt. Die Neuköllner Fünfzimmerwohnung mit rund 115 Quadratmetern ist viel zu klein für zehn Personen. Das Wohnzimmer dient als Spiel- und Esszimmer, denn in der Küche ist nicht genug Platz für alle. „Wir essen leider getrennt“, sagt Roksana. Es gibt zwar ein zweites Bad und vier Schlafzimmer – aber das reicht kaum. Eine größere und bezahlbare Bleibe sei schwer zu finden, sagt die Mutter. „Wer will schon an zehn Leute vermieten?“ Die Familie lebe von Hartz IV. Aber der Hausverwalter habe nun Hilfe versprochen.

Für eine geregelte Arbeit bleibe kaum Zeit, sagt das Paar. Während seine Frau die Wohnung in Schuss hält und kocht, organisiert Hikmet Temiz alle anderen Wege und erledigt den Papierkram. „Wenn man alles regelmäßig macht, versinkt man nicht im Chaos“, sagt Roksana, die sich ab und zu auch Zeit für Fitness und Freundinnentreffen nimmt.

Doch manches Problem bleibt. Großeinkäufe seien sinnlos, sagt die Hausfrau. Sie wisse nicht, wohin mit den Vorräten. Einen Keller gibt es nicht und von einem Doppelkühlschrank träumt sie nur.

Er ziehe heute den Hut vor dieser Familie, sagt Arzt Henrich. „Das Paar ist absolut bewundernswert und meistert den Alltag exzellent“, betont er. Roksana erinnert sich aber immer noch an ungewisse Zeiten. „Als ich das erste Ultraschallbild mit vier Babys sah, hatte ich einen Schock“, sagt sie. Beim zweiten Mal seien dann sechs Kinder zu sehen gewesen. „Als Mutter und Mensch konnte ich mir aber nicht vorstellen, einzelne Kinder im Bauch zu töten, damit andere überleben“, sagt sie. Im Internet habe sie von anderen ähnlichen Geburten gelesen und Mut gefasst.

Er sei im Nachhinein hoch erfreut, dass trotz des extremen Risikos alles gut gegangen sei, sagt Mediziner Henrich. Bei Mehrlingsgeburten steige die Gefahr von Frühgeburten, Wachstumsverzögerungen und Fehlbildungen. Auch die Mütter könnten unter anderem eher Bluthochdruck, Schwangerschaftsdiabetes oder eine Lebererkrankung bekommen. Im Rückblick sei die Entscheidung für alle sechs Kinder richtig gewesen. „Aber es hätte auch schiefgehen können“, betont Henrich. „Wenn Roksana Temiz jetzt schwerstbehinderte Kinder hätte, würde jeder fragen, warum man nicht einen Teilabbruch gemacht hat.“

Bei Familie Temiz machen die Sechslinge aber nicht mehr Stress als ihre Geschwister. Nachzügler Malik-Musa beschäftigt seine Eltern sogar mitunter mehr. „Er tanzt immer aus der Reihe und ist wie ein Einzelkind“, berichtet Roksana. Währenddessen schleicht der Kleine unbemerkt in die Küche und greift nach Plätzchen. Auf eine Weihnachtsfeier verzichtet die Familie allerdings. „Wir hatten mit dem Zuckerfest wirklich genug zu tun“, sagt Roksana Temiz, konvertierte Muslimin. Anja Sokolow (dpa)

Anja Sokolow (dpa)

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