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Berlin: Eine Partei, die sich selbst im Wege steht

Die Angst vor zu viel Macht: Die Berliner Grünen pflegen mit Hingabe ihre Misstrauenskultur – selbst auf Kosten der Handlungsfähigkeit als Oppositionspartei

Von Sabine Beikler

Es ist ein Phänomen: Wenn es um nichts geht, gebärden sich die Grünen wie ein Haufen postpubertierender Jugendlicher. Das bewies die Partei geradezu exemplarisch auf ihrer Landesdelegiertenkonferenz am Sonnabend. Dort, in einem Kreuzberger Begegnungszentrum, durfte man vielen langwierigen Diskussionen zuhören. Über die Sinnhaftigkeit zum Beispiel, die Ausdrücke „frauenpolitische Sprecherin“ durch „genderpolitische Sprecherin“ beziehungsweise die „Frauen- und Genderreferentin“ durch „Genderreferentin“ beziehungsweise die „Frauen- und genderpolitische Sprecherin“ durch „genderpolitische Sprecherin“ zu ersetzen. Irgendwann stellte sich dann tatsächlich heraus, dass es eigentlich noch gar kein „Gender-Konzept“ gibt.

Was geht in einer Partei vor, die gemäß dem Motto „Der Rest der Republik redet über die Rente. Wir aber sprechen über uns“ verfährt? Es gibt Grüne, darunter nicht wenige im traditionell linken Berliner Landesverband, die sich einfach bessere Menschen wünschen und ihr Seelenleben gerade auf solchen Konferenzen nach außen tragen. Die am Montag in die Amtsstube, in die Lehrerkonferenz gehen und ihren Arbeitsfrust in der Partei auslassen. Dann ist da noch das Lager, die schon beim geringsten Hauch von Machtpolitik grün anlaufen. Gemäß der Attitüde „Wir sind die Sperrminorität“ verhindern sie alles, was zum Beispiel effektiveren Strukturen in der Partei gut täte. Kein Grüner zweifelt ernsthaft daran, dass Landesvorstand und Fraktion besser verzahnt werden müssen. Grünen-Verbraucherschutzministerin Renate Künast sprach am Sonnabend von „Synergieeffekten“. Doch selbst eine vorsichtige Aufweichung der Trennung von Amt und Mandat fand keine Mehrheit. Weit verbreitet ist die Angst vor Machtmissbrauch in der Basis. Schon allein bei dieser Vorstellung schütteln sich die paar Berliner Grünen-Parlamentarier vor Lachen: Von Macht kann bei einer kleinen Oppositionspartei keine Rede sein. Statt dessen ulken sie zurück: In der Fraktion können sie unbeschwert ihre Arbeit machen. Es gibt nämlich keine Kontrolle – und das Interesse der Basis an der Arbeit ihrer Funktionäre ist gering.

Die ganze Stadt spricht zurzeit über den Solidarpakt, über den Öffentlichen Dienst, den Milliarden-Schuldenberg Berlins. Doch als die Delegierten am Sonnabend eine Resolution über den Solidarpakt verabschiedeten, fanden sich nur zwei Redner: Der eine befasste sich mit dem Unterschied von Brutto und Netto. Der andere wollte die Resolution um die politisch brisanten Worte „den notwendigen Stellenabbau sozial gestalten“ ergänzen. Weitere Wortmeldungen? Fehlanzeige. Der Antrag kam durch.

In der Partei herrscht eine Misstrauenskultur vor, die erfahrene Grünen-Politiker stoisch ertragen. Fraktionschef Wolfgang Wieland versteckt sich hinter Zeitungen, andere rauchen unentwegt Zigaretten oder verlassen entnervt solche Szenarien wie am Sonnabend. Als die Landesvorsitzende Regina Michalik erklärt, sie werde nicht mehr kandidieren, hat sie Tränen in den Augen. Der Job als Landeschef oder -chefin kostet in Berlin viel Kraft. Lange hat es noch niemand auf dem Posten ausgehalten. Vielleicht hilft es ja, dass die Grünen am Sonnabend in ihrer Satzungsdebatte beschlossen haben, den Landesvorstand wieder besser zu bezahlen. Sabine Beikler

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