zum Hauptinhalt

Berlin: Eine Regel der Kirche: bespitzeln erwünscht

Unter dem steten Blick von Kameras und Überwachern Ein Einblick in das System der umstrittenen Organisation

Von Jörn Hasselmann

Journalisten sind bei Scientology unbeliebt. Fotografen und Kamerateams wurden am Eröffnungssonnabend in einen Raum geleitet, durften dort unter uniformierter Aufsicht Scientology-„Stars“ wie Chick Corea und Hollywood-Schauspielerin Anne Archer interviewen. Oder sie wurden beim Betreten des Hauses bereits am Eingang abgewiesen, wie es die Tagesspiegel-Redakteurin erlebte: „Sie sind Claudia Keller. Sie waren vor einer Woche hier. Sie hatten einen anthrazitfarbenen Rock an und einen roten Strickpullover. Der Tagesspiegel darf wegen seiner Berichterstattung heute hier nicht rein.“

Wie Scientology die nicht genehme Journalistin im dichten Gedränge Minuten nach dem Öffnen der Türen so schnell, so perfekt und so sicher identifizierte, bleibt unklar. Dass eine perfekte Organisation dahinter steht, ist klar. So flimmern hinter dem Empfangstresen die Videobilder mehrerer Überwachungskameras. Zu dieser Zeit ist der bei Scientology unbekannte Reporter bereits an den schwarz Uniformierten vorbei, kann sich ungehindert in den sechs Obergeschossen bewegen nach der Devise: Nur nicht als Fremder oder Journalist auffallen.

In einem Flur weit oben zeigt eine riesige Tafel das Organigramm des Berliner Büros. Schätzungsweise 1000 Positionen sind vorgesehen, eine schnelle Zählung ergibt, dass etwa 105 Positionen mit Namensschildchen überklebt sind. Ganz oben thront die „Leitende Direktorin“ der Berliner Sektion, Kirsten Austinat. Darunter finden sich viele Dutzend „Verantwortliche“. Scientology hat offenbar für alles Verantwortliche.

Es gibt einen „Verantwortlichen für anwesendes Personal“ und einen „Verantwortlichen für weggehendes Personal“. Stutzig macht der Posten „Verantwortlicher für das Finden oder Behandeln unterdrückerischer Personen“. Kritiker behaupten seit langem, dass sich Scientology einen eigenen Geheimdienst hält. In Berlin scheint der Posten noch nicht besetzt zu sein, das Namensschildchen fehlt. Eine Italienerin, die es wagt, einen Schnappschuss dieser Tafel zu machen, wird sofort von einem Uniformierten angesprochen. Ob sie das Foto privat gemacht habe?

Unerkannt lässt sich der Reporter von den Menschenmassen treiben, mit dem Fahrstuhl geht es in den sechsten Stock, von dort sollen die Besucher, so die Anweisung, von Stock zu Stock herunter die Abteilungen durchwandern. Auf dem Weg nach unten kommt man an einer Art Fahndungsplakat vorbei. 1000 Dollar Belohnung winken demjenigen, der einen Abweichler anschwärzt, dieser werde dann „verhaftet“. Wer die „Verhaftungen“ vornimmt, liest man nicht, dafür die Worte: „Schwerverbrechen“ und vielfach die Formel „unterdrückerisch“. Auf mehreren Seiten sucht das „Religious Technology Center“ (RTC) „Angelegenheiten, die für RTC von Interesse sind“.

Erholen von dieser Spitzelei darf sich der Scientologe dann in der Sauna, ganz oben im sechsten Stock vor der Aussichtsterrasse. Dort gibt es auch einen Fitnessraum. Auf Scientologisch: Das „Hubbard Guidance Center“, in dem man „ungehindert ein völlig neues Leben beginnen kann“, so verheißt es ein Werbeprospekt. Eine Etage tiefer das nachgebaute „Büro von L. Ron Hubbard“, wie im Museum hindert ein Band den Gast am Eintritt. „Sehr modern“ hört man die Besucher sagen. Dies bleibt die mit Abstand abfälligste Bemerkung, die zu vernehmen ist: Alle Besucher loben alles überschwänglich, und sie tun es unentwegt. Jeder versichert jedem, wie „wunderbar“, „großartig“ oder „zauberhaft“ jedes Büro und jeder Saal ist. Der Reporter guckt freundlich, traut sich nicht, Notizen zu machen. Unbeobachtet für eine kurze Notiz ist man nur auf der Toilette.

Vorbei an Filmräumen, Sitzungsälen, dem „Einschreibungsbüro“ und der Kapelle schiebt sich die Masse Stockwerk um Stockwerk treppab. Die Tour endet im Hof hinter dem Gebäude, in weißen Plastikzelten warten Saft, Wasser und eine dünne Suppe auf ermattete Scientologen. Die angeblich millionenschwere Vereinigung kassiert 50 Cent für jedes Fläschchen Wasser und jedes Tellerchen Suppe von ihren Mitgliedern.

Zuhause studiert man in den Hochglanzprospekten die Preise, die Scientology von seinen Mitgliedern auf dem Weg zum Seelenheil kassiert: 15 019 Euro und 15 Cent, soviel kostet das „Paket der Akademie-Stufen 0-IV“. Dafür bekommt der werdende Scientologe auch ein Gerät, das sich „Mark Super VII Quantum E-Meter“ nennt, für den Einzelpreis 4340 Euro und 25 Cent. Nichtmitglieder dürfen das Gerät, ein schwarzes Kästchen mit zwei verkabelten Blechdosen, für 4822,50 Euro erwerben. Was mit diesem E-Meter angeblich gemessen wird, verrät die Broschüre nicht. Kritiker bezeichnen es als Art Lügendetektor.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false