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Berlin: Eine Runde Luckau

Die Befestigungsmauer und der Stadtgraben umschließen Luckau wie ein Ring. Man kann rundherum im Kahn fahren oder laufen. Zur Landesgartenschau 2000 blühte die Stadt auf, seither schmücken sie Gärten und Parks, und der barocke Markt hat neuen Glanz

Würde man Harry Müller jetzt ins Kostüm eines mittelalterlichen Ratsherren stecken, wäre die Filmszene perfekt. Harry Müller sitzt in seinem Rathaus am Eichenholztisch unter gotischen Spitzbögen, Sonnenstrahlen huschen durch die Butzenscheiben des Fensters und malen Kringel auf die eisenbeschlagene Truhe für die Stadtkasse links an der Wand. Die Dielen knarren, der Leuchter aus Hirschgeweihen schwankt, wenn der Luckauer Bürgermeister durch sein Arbeitszimmer geht, in dem sich seit 500 Jahren nichts grundlegend verändert hat. „Das ist eines der schönsten und ältesten Bürgermeisterbüros Brandenburgs“, sagt der 59-Jährige. Und dann schwärmt er für sein Städtchen wie für eine Geliebte. „Charmant und romantisch“ sei es – Harry Müller lächelt verträumt – „und südländisch, heiter.“

An diesen Reizen hat Harry Müller seit der Wende kräftig mitgewirkt, denn so lange ist der parteilose einstige Vermessungsingenieur schon Luckaus Bürgermeister. Bei den letzten Kommunalwahlen Ende 2001 erhielt er 94,92 Prozent, das landesweit beste Ergebnis aller Kandidaten. Das verdankt er besonders seinem größten Coup zugunsten des Städtchens: 1999 holte er die erste Landesgartenschau Brandenburgs nach Luckau – und damit viele Millionen Euro Fördergelder.

Zuvor war das Landratsamt nach Lübben umgezogen, Luckau hatte plötzlich seine Bedeutung als Kreisstadt verloren, es brauchte dringend neuen Schwung. Außerdem wollte Müller nicht als Bürgermeister des Niedergangs in die Ortschronik eingehen. Aber die Gartenschau-Jury war damals schwer zu überzeugen, obwohl Luckau viele historische Schätze besitzt. Doch sie sahen grau und ungepflegt aus. Es erforderte Phantasie, sich die wundersame Verwandlung des hässlichen Entleins zur malerischen Gartenstadt vorzustellen, als die sich Luckau heute zeigt:

Der Markt hat die Farbigkeit Süddeutschlands mit seinen ostereierbunt bemalten barocken Patrizierhäusern aus dem 17. Jahrhundert, als Luckau noch zum prunkliebenden Sachsen gehörte. Am Schlossberg und im Stadtpark blühen üppige Rosen- und Rhododendrongärten. Die mächtige St. Nikolaikirche gilt als eines der schönsten mittelalterlichen Gotteshäuser der südlichen Mark. Und Luckaus historisches Zentrum ist vollständig von der Stadtmauer aus Feld- und Backsteinen sowie dem schiffbaren Stadtgraben umschlossen.

Wer kann schon seine Stadt entlang der Verteidigungsanlage auf blumengeschmückten Parkwegen in zwei Stunden zu Fuß umrunden – oder sogar im Kahn rundherum fahren? Das können nur die Luckauer und ihre Gäste.

Selbst viele Einwohner waren überrascht und stolz, wie schön ihre Stadt aufblühte. Denn kaum hatte Luckau den Zuschlag bekommen, startete man die Verschönerungsaktion mit Elan und einer Vision: Besucher sollten in Luckau ein harmonisches Gesamtbild von Natur und mittelalterlicher Stadt erleben. Dafür legte man längs des Weges zwischen Stadtmauer und Stadtgraben ein „Blumenband“ mit Parks und Gärten an. Zusätzlich wurde der Schlossberg mit Wein- und Rosenstöcken neu gestaltet, und an der Südpromenade entstand ein Stadtpark. Auch die Stadtmauer richtete man liebevoll her, und die barocken Bürgerhäuser am Markt erstrahlten bald in alter Pracht. Rund 420 000 Besucher bewunderten zur Landesgartenschau von April bis Oktober 2000 dieses Werk, das Städtchen hielt Hof – und nahm danach umso wehmütiger vom Spektakel Abschied.

Doch im Rathaus hatte man erneut einen rettenden Einfall. Seither wird der „grünende, blühende Nachlass“ der Gartenschau mit hohem Einsatz weiter gepflegt, die Stadt lädt zu Blütenfesten ein oder lässt Orchester zwischen historischen Mauern und Rosen spielen, was sich gut rechnet: Die Luckauer sind mit ihren Touristenzahlen auch heute „recht zufrieden“.

Glück- und Pechsträhnen sind sie ohnehin seit Jahrhunderten gewohnt. So stand einst auf dem Schlossberg eine alte Slawenburg des Stammes der Lusizer. Später wurde sie zerstört, ihre Bewohner zogen sich in die Sümpfe des Spreewaldes zurück. Danach gehörte Luckau zu Böhmen, ab 1635 zu Kursachsen und nach 1815 zu Preußen. Und bis zum 30-jährigen Krieg im 17. Jahrhundert war es dank der Handelsstraßen, an denen es lag, eine wohlhabende Stadt.

Luckaus Patrizier waren so reich, dass sie zu Geldgebern ihrer Landesherren avancierten. Karl IV revanchierte sich 1375 mit dem legendären „Haupt des Heiligen Paulinus“, das er dem Luckauer Gotteshaus überließ. Dank dieser Reliquie war die St. Nikolaikirche, die heute viel zu groß für Luckau erscheint, bald ein vielbesuchter Wallfahrtsort. Um diese Zeit war auch die Stadtbefestigung komplett und wie die Kirche der Stolz der Luckauer. Und 1492 kam der Gipfelpunkt: Luckau durfte sich „Hauptstadt der Niederlausitz“ nennen.

Danach ging es langsam bergab, besonders drei Stadtbrände im 17. Jahrhundert hatten verheerende Folgen. Aber die Luckauer lernten daraus. Sie richteten dem Türmer – ihrem „Hausmann“ – unterhalb der Haube des Hausmannsturmes am Markt eine Wohnung ein, so dass er besser Brandwache halten konnte. Außerdem mussten sich Nachtwächter und Türmer gegenseitig Signale blasen, damit keiner im Dienst einnickte.

200 Jahre später verschliefen die Luckauer dann allerdings das Zeitalter der Eisenbahn und koppelten sich vom Fortschritt ab. 1870 sollte die neue Eisenbahnlinie Berlin-Dresden durch ihr Städtchen führen, doch sie verweigerten das – sie wollten ihre Ruhe bewahren. Auch der spätere Versuch, die Stadt in ein schickes Moorbad zu verwandeln, konnte diese Torheit nicht wieder gut machen. Von 1904 bis 1940 kamen zwar Kurgäste nach „Bad Luckau“, wie sich die Stadt seit 1926 nannte, aber der Erfolg hielt nicht an.

Nur das „Café Graf“, einst Nummer 1 unter den Konditoreien im Kurbad, hat aus dieser Zeit überlebt. Sein Besitzer Rüdiger Graf, Enkel des Caféhausgründers, setzt auf den neuen Charme der Stadt. „Die Gartenschau hat uns aufgeweckt, nun tun wir alles für eine lange Blütezeit.“

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