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Berlin: Eine Stadt für Charlotte

Der erste Preußenkönig gründete Charlottenburg vor 300 Jahren – aus Liebe zu seiner verstorbenen Frau

Der erste preußische König FriedrichI. hätte den Beinamen „der Prächtige“ verdient gehabt, so prunkvoll liebte er es. Mit seiner Gemahlin Sophie Charlotte war er der Mittelpunkt einer kostspieligen Hofhaltung in Berlin, Oranienburg und auf der Lietzenburg, dem heutigen Charlottenburg. Durch seine anerkannt schöne und kluge Gattin fiel einiger Glanz auf ihn selbst, auf einen Mann, der wegen seines krummen Wuchses von den Berlinern „schiefer Fritz“ und von seiner eigenen Frau wenig respektlos „buckliger Äsop“ genannt wurde.

Als Sophie Charlotte am 1. Februar 1705 starb, war ihr Gemahl untröstlich. Hoftrauer wurde verkündet und beim Bildhauer Andreas Schlüter ein vergoldeter Sarg bestellt, der, mit dem Bildnis der teuren Toten versehen, heute im Berliner Dom steht. Doch Friedrich I. wollte der toten Königin noch ein besonderes Denkmal setzen. Am 5. April 1705 erhob er das bisherige Dorf Lietzenburg, das eigentlich nur aus dem Schlossbezirk bestand, zur Stadt, nannte sie Charlottenburg und bestimmte sich selbst zu ihrem ersten Bürgermeister. Der heutige Großbezirk war geboren. Ein ganzes Jahr lang wird dort Jubiläum gefeiert.

Der König, von dem sein Enkel Friedrich II. sagte, er sei im Großen klein und im Kleinen groß gewesen, nahm die Umbenennung sehr ernst. Von nun an war es verboten, den alten Namen Lietzenburg zu verwenden. Wer es trotzdem tat, musste zahlen. „Lützenburg wird nun Charlottenburg genennet und wird so scharf darüber gehalten, dass alle diejenigen, die den ersten Namen nur nennen, sofort 16 Groschen Strafe erlegen müssen“, berichtete ein hannoverscher Kriegssekretär seiner Regierung.

Offenbar war die Strafandrohung nötig, denn die Leute waren bequem und renitent. Doch der durch seine kostspieligen Festivitäten und Bauten stets klamme König Friedrich I. machte aus allem Geld, sogar aus dem Andenken an seine tote Gattin.

Sophie Charlotte, die trotz ihres Hangs zur „Starkleibigkeit“ als schönste Prinzessin ihrer Zeit, als klug und belesen galt und doch schon mit 37 Jahren starb, unterhielt in der damaligen Lietzenburg einen berühmten Musenhof. Jeden Tag gab es Lustbarkeiten: Theater, Konzert, Ballett, Maskeraden, Hanswurstiaden, Kutschfahrten, Feuerwerk und üppige Gelage. Adlige Damen und Herren verkleideten sich als „Volk“, mimten Gaukler und Zahnbrecher, Taschenspieler und Zauberkünstler, spielten als Musiker auf, rezitierten aus Komödien. Und mittendrin agierte die nimmermüde Sophie Charlotte. „Vivat Friedrich und Charlott,/ Wer’s nicht recht meint, ist ein Hundsfott“, reimte der Universalgelehrte und Gründer der Berliner Akademie der Wissenschaften, Gottfried Wilhelm Leibniz, mit dem die Kurfürstin und – ab 1701 – Königin im regen Gedankenaustausch stand.

Bei Hofe ging es, wie Zeitgenossen berichten, ziemlich ungezwungen zu. In vorgerückter Stunde achtete man auch nicht auf Rang und Namen, sondern sprang sogar über Tische und Stühle. Und dann konnte es auch geschehen, dass sich der sehr auf Etikette und Abstand bedachte königliche Gatte, jener bucklige Äsop, mitreißen ließ und sich unter die lärmende Gesellschaft mischte. Leibniz berichtete nach einem solchen „Volksfest“ nach Hannover: „Und alle Teilnehmer – es waren und durften nur Mitglieder der Hofgesellschaft oder sonst hervorragende Männer sein – haben zugestanden, dass eine große Oper, welche tausende von Talern gekostet hätte, den Mitwirkenden wie den Zuschauern nicht so viel vergnügen gemacht haben würde.“

Sophie Charlotte, am 30. Oktober 1668 in Iburg südlich von Osnabrück als Tochter des Herzogs Ernst August von Braunschweig-Lüneburg und seiner Gemahlin Sophie von der Pfalz geboren, jedoch in Hannover aufgewachsen und seit 1684 mit dem nachmaligen brandenburgischen Kurfürsten und preußischen König Friedrich III./I. vermählt, zog Literaten, Musiker, Maler, Architekten und Gelehrte an. Ihnen winkten schöne Aufträge und stattliche Gehälter. Ganz oben auf der Liste ihrer geistreichen Gesprächspartner stand ihr Landsmann Leibniz, den sie bei dem Plan, in Berlin eine Akademie der Künste und der Wissenschaften zu gründen, unterstützte. König und Königin halfen damit, die im damaligen römisch-deutschen Reich als hinterwäldlerisch verlachte märkische „Streusandbüchse“ zu kultivieren und trugen so mit friedlichen Mitteln zum Glanz des Hauses Hohenzollern bei. Zugleich sorgte das ungleiche Paar dafür, dass das eher kleinstädtisch-langweilige Berlin für kurze Zeit zum vielfach gepriesenen Spreeathen wurde, zum Hort der Künste und Gelehrsamkeit – wie die Stadt der klassischen Antike.  

Helmut Caspar

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