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Berlin: Eine Stadt ist sich sicher

Poller, Kameras und Wachmänner – Berlin hat auf die Gefährdungslage reagiert

So unauffällig sind sie und zugleich so allgegenwärtig, dass sie von den meisten Menschen übersehen werden – Videokameras gehören nicht nur im neuen Berliner Hauptbahnhof inzwischen zum Alltag. Nahezu überall im öffentlichen Raum muss man damit rechnen, von einer Überwachungskamera erfasst, gespeichert und nach eventuellem Gefahrenpotenzial gefiltert zu werden. Die Stadt hat sich verändert. Der ferngesteuerte Blick auf den Bürger, in den fast versunkenen Jahren vor dem 11. September 2001 kontrovers diskutiert und von vielen als inakzeptabel bekämpft, ist selbstverständlich geworden und wird von einer sich latent bedroht fühlenden Mehrheit mehr oder weniger akzeptiert. Und seit dem gescheiterten Kofferbombenanschlag vor wenigen Wochen wird nahezu unwidersprochen ein noch weitgehenderer Einsatz von Video-Kameras auf Bahnhofsplätzen und Zügen angestrebt. Und auch die Anwesenheit von Wachmännern an vielen öffentlichen Orten wird nicht mehr als befremdlich, sondern als beruhigend empfunden.

Anderes dagegen, früher anstandslos hingenommen, ist heute undenkbar. Der angehende Dichter Joseph Conrad etwa vergaß 1893 in einem Waschraum des Bahnhofs Friedrichstraße eine Reisetasche mit dem fast fertigen Manuskript des ersten Romans. Ein aufmerksamer Kofferträger rettete sie und brachte sie dem Autor zurück. Heute würde dies anders verlaufen: polizeilicher Großeinsatz mit Absperrungen, Bombenräumkommando und dem Roboter „Teodor“, der das dichterische Werk mit gezieltem Schuss aus der Wasserkanone atomisierte.

Die Terroranschläge von 2001 haben auch städtebauliche Spuren hinterlassen. Weil die Sicherheitsanforderungen von Botschaften und Regierungsgebäuden verschärft werden, stehen immer mehr massive Poller herum, die im Ernstfall sogar einen 40-Tonner in voller Fahrt aufhalten sollen. Die Stadtplaner müssen sich dem beugen: „Die Sicherheit hat oberste Priorität“, sagt Petra Rohland, Sprecherin der Stadtentwicklungsbehörde. Bei der neuen US-Botschaft am Pariser Platz konnte nach jahrelanger Debatte ein Kompromiss gefunden werden, sodass die Straßen nicht ganz so stark verschwenkt werden mussten wie zunächst gefordert.

Das war vor 15 Jahren ganz anders, als der 11. September unvorstellbar war, die Pläne für das Regierungsviertel in Berlin aber immer konkreter wurden. Wer dabei war, erinnert sich, wie über den Abstand zwischen den Steinpollern rund um den Reichstag gestritten wurde und welchen Aufschrei der Zaun vor dem Verteidigungsministerium am Reichpietschufer auslöste. Heute mutet das an wie eine Debatte aus einer anderen Epoche.

Doch nicht nur vor Botschaften geht die Sicherheit vor. Betroffen sind auch Einrichtungen der jüdischen Gemeinde. Besonders prägnant sind die Sicherheitsmaßnahmen vor der großen Synagoge in der Oranienburger Straße. Auch hier wurde die Straße verschwenkt, und es wurden massive Poller aufgestellt.

Seit der Terroranschläge auf das britische Konsulat in Istanbul im Herbst 2004 ist auch die Wilhelmstraße vor der Britischen Botschaft gesperrt. Geöffnet wird sie nie wieder. Auch die Botschaft selbst hat Konsequenzen gezogen. Das Konzept des offenen Hauses ist passé. Ausstellungen oder der Weihnachtsmarkt finden nicht mehr statt. „Das ist aus Sicherheitsgründen nicht mehr machbar“, sagt Botschaftssprecherin Christiane Goedelt.

Poller sichern draußen die Einfahrt. Staus in den Nachbarstraßen sind trotzdem selten. Dennoch dient die gesperrte Wilhelmstraße der Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) als ein Grund dafür, die Verlängerung der Französischen Straße anzuschieben und so eine zusätzliche, von Sicherheitsauflagen weitgehend freie Ost-West-Verkehrsachse zu schaffen. Mittes Baustadträtin Dorothee Dubrau (Grüne) wünscht sich, dass über die immer strengeren Sicherheitsauflagen und ihre Wirkung neu nachgedacht wird. „Ich habe Probleme damit, dass sich Regierungsbauten immer schlechter in die Stadt integrieren“, sagt sie. Ob mit Pollern und erweiterten Sperrzonen mehr Sicherheit erreicht wird, ist für sie zumindest fraglich.

Am Pariser Platz werden für Poller gerade in den beiden Rabatten die gleichen massiven Fundamente eingelassen. Dass Poller vor der US-Botschaft stehen sollen, ist seit langem klar. Aber die gleichen Fundamente werden jetzt auch auf der anderen Seite des Platzes in den Boden gelassen. Das hat nichts mit einem gesteigerten Sicherheitsbedürfnis der französischen Botschaft zu tun, die auf dieser Seite des Platzes steht, sondern ist eine Anforderung der Gartendenkmalpfleger: Die Symmetrie muss gewahrt bleiben.

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