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Berlin: Eine Uniform für Romy, ein Nylonkleid für Ruth

Von Andreas Conrad Ein Traum in Rosa, mit weißen Applikationen. Der festliche Chic früherer Jahrzehnte, Blickfang auf einem Ball, dessen Musik längst verklungen ist.

Von Andreas Conrad

Ein Traum in Rosa, mit weißen Applikationen. Der festliche Chic früherer Jahrzehnte, Blickfang auf einem Ball, dessen Musik längst verklungen ist. Für eine gertenschlanke Frau geschneidert, deren Glieder der Stoff sanft umschmeichelte. Behutsam mögen die Hände des geliebten Tanzpartners über das zarte Gewebe geglitten sind …

„Hier, fühlen Sie mal.“ Susanne Franke, Geschäftsführerin des Kostümausstatters „Theaterkunst“, lüftet die Plastikfolie, die das Ballkleid schützt, reibt das Gewebe abschätzig zwischen den Fingern. „Nylon.“ Immerhin 1955 in dem Fernsehfilm „Ludwig II.“ von Ruth Leuwerik getragenes Nylon, was Susanne Franke nachträglich fast Respekt vor der Bescheidenheit früherer Schauspielergenerationen abnötigt. „Heute würde das niemand mehr tragen wollen. Die Schauspieler sind anspruchsvoller geworden, auch markenbewusster.“ Keine Chance für Nylon.

Doch Susanne Franke ist schon beim nächsten Kostüm, wieder ein Kleid, diesmal von grauer Tristesse. Romy Schneider hat es getragen, in „Mädchen in Uniform“. Daneben die Lederweste in munterem Gelb: Liselotte Pulver, „Das Wirtshaus im Spessart“. Und noch einmal Romy, „Die schöne Lügnerin“. Ein Besuch bei der „Theaterkunst“ in der Wilmersdorfer Eisenzahnstraße gerät rasch zu einem Streifzug durch die deutsche Kinogeschichte. Überall hängen Plakate von Filmen, an denen das in Deutschland führende Kostümhaus beteiligt war: Zuletzt „Nirgendwo in Afrika“, „Heaven“, „Resident Evil“, etwas früher „Aimee & Jaguar“, „Das Geisterhaus“, „Comedian Harmonists“, und irgendwo prangt sicher auch, als berühmtestes Werk der Filmgeschichte, an dem „Theaterkunst“ beteiligt war, der Kopf Brigitte Helms als Maschinenfrau in „Metropolis“. Und wenn man ein, zwei Jahre später wiederkommt, dürfte man auf Max Färberböcks Episodenfilm über den 11. September treffen, auf den soeben entstehenden Luther-Film mit Joseph Fiennes und Peter Ustinov oder die „Schatten der Macht“ über Willy Brandt und die Guillaume-Affäre. Soeben ist man dabei, Egon Bahrs Kleiderschrank zu füllen: Zwei Morgenmäntel, zwei Anzüge, Hemden, Krawatten hängen bereit.

Ein traditionsreiches und florierendes Unternehmen, dem die gegenwärtige Krise der Branche aber auch ihr Opfer abfordert. Erst der New Yorker Anschlag mit seinen Auswirkungen auf die Börse und dort gehandelte Filmfonds, die allgemeine Zurückhaltung der Produktionsfirmen, schließlich die Kirch-Insolvenz - zu viel kam hier zusammen, und so muss die seit einem halben Jahrhundert bestehende „Theaterkunst“-Filiale in München Ende Oktober eben schließen. Die 500 000 Teile des dortigen Fundus werden auf die verbleibenden Niederlassungen verteilt, auf Köln und Hamburg und vor allem die Zentrale in Berlin, wohin das Gros der Kostüme verlagert wird. Sieben Millionen Einzelstücke gibt es hier bereits, in der Eisenzahnstraße und einem Außenlager auf 10 000 Quadratmeter verteilt, die werden mit den Neuzugängen nicht mehr reichen. So bedauerlich der Rückzug aus München ist, den Erfordernissen des Marktes kommt er sehr entgegen. „Berlin ist in, es ist angesagt, hier zu drehen“, freut sich Susanne Franke, die seit einem Jahr gemeinsam mit Kai Hütsch die Geschicke der Firma leitet.

In fünf Jahren kann „Theaterkunst“ sein 100-jähriges Bestehen feiern. 1907 von Hermann J. Kaufmann gegründet, später von einem schwedischen Zündholzkonzern gekauft, in den 70er Jahren von den Mitarbeitern übernommen, hat die Firma ihren Schwerpunkt längst von der im n noch präsenten Bühnenwelt hin zu Film, Fernsehen und zunehmend auch Werbung verlagert. Das Sortiment konzentriert sich auf die Mode von den 20er Jahren bis in die Gegenwart. Fünf Reihen hoch hängen die Beinkleider für die Herren, Anzüge sind wie im Warenhaus sortiert, nur eben nicht nach Sonderangeboten oder Konfektionsgrößen, sondern nach Jahrzehnten. Batterien von Kartons bergen „Ententeichhüte“, Strohhüte, Homburger (braun, schwarz, grau), Panamahüte, „Schlapphüte/alte Hüte“ oder auch „Studenten- und Polenmützen“. Damit alles historisch stimmt, hat man sich eine respektable Bibliothek und ein Archiv mit historischen Aufnahmen zusammengestellt. Ob der Kostümbildner eines Films sich daran hält oder sich im Detail darüber hinweg setzt, liegt dann in seiner Verantwortung – und der des Regisseurs.

Wenn auch „Theaterkunst“ sich aufs 20. Jahrhundert konzentriert hat, steht sie auch bei historischen Filmen wie dem Luther-Projekt bereit, zur Not mit Nadel und Faden. Und selbst Wikinger und Ritter können die 70 Mitarbeiter des Unternehmens nicht schrecken. Man steige nur hinab in den Keller, vorbei an Regalen voller Lederstiefel, an schwarzen Eisenkugeln, die man Gefangenen früher an die Beine kettete, an Reitgerten und Koppelschlössern. Ganz hinten die Waffenkammer ist sorgfältig verschlossen: Ritterrüstungen, Römerkostüme, Degen, Dolche, Schwerter, Karabiner und Pistolen – alles da. Nur die Kalaschnikows hat man kürzlich verkauft, ganz korrekt mit vielen amtlichen Stempeln. Das Verleihen war fast genauso umständlich und leider überhaupt kein Geschäft.

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