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Berlin: Eine Weltmarke wird demontiert

Das ICC holt die größten Kongresse nach Berlin und bringt Geld in die Stadt. Die Abriss-Debatte schadet enorm, sagen Fachleute

Als Walter Scheel am 2. April 1979 die langen Flure und riesigen Foyers sieht, drei Rolltreppen hochfährt, um im großen Saal anzukommen, und schließlich die endlosen Sitzreihen abschreitet, steht sein Eindruck fest: Was für ein Koloss! Voller Überzeugung sagt der Bundespräsident in seiner Ansprache zur Eröffnung: „Dieses Congress Centrum hat gute Chancen, hier noch zu stehen, wenn die Cheopspyramide längst verwittert ist.“

Tatsächlich ist der Bau nicht nur wegen seiner Abmessungen ein Superlativ. 320 Meter lang, 88 Meter breit und 40 Meter hoch: In diese Ausmaße passen zwei riesige Säle, die zusammengelegt auch 26 Jahre später noch die größten Europas sind, sowie 80 weitere Kongresssäle. Außerdem: eine Großküche, ein Parkhaus, und eine Bühne, deren Fläche größer ist als ein Tennisplatz. Am Ende des Jahres 2005 aber steht das ICC zur Disposition.

Der Senat hat seine für Dienstag angekündigte Entscheidung über die Zukunft des Hauses zwar vertagt. Die Diskussion geht trotzdem weiter. Und gerade die ist es, die nach Ansicht von Berlins oberstem Tourismusförderer Hanns-Peter Nerger dem Ruf Berlins als führende Kongressstadt schade. Die Debatte beschädige die weltweit bekannte Marke ICC und hätte unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden sollen, so der Chef der Berlin Tourismus Marketing (BTM). So wird sie von anderen Messegesellschaften genutzt, die mit dem Hinweis auf eventuelle Planungsunsicherheiten in Berlin ihre eigenen Hallen anpreisen. München gilt als sehr offensiv. Unterstützt wird Nerger von Willy Kausch. Er hat die größten Medizinerkongresse im ICC organisiert, gilt weltweit als Kongress-Experte und er sagt: „Die Spekulationen sind enorm schädlich.“

Warum gibt es sie dann? Entstanden sind sie, weil der Messegesellschaft die Unterhaltung des ICC zu teuer geworden ist. Sieben bis acht Millionen Euro muss die Messe jährlich zuschießen. Zugleich aber betonte Messe-Vorstand Raimund Hosch im Juni 2005 die positiven Folgen für Berlin: „Auch wenn der Unterhalt des ICC sehr kostenintensiv ist, rechnet sich der Betrieb eines großen Kongresszentrums allein schon aus makroökonomischen Gründen für die Stadt.“ Hosch rechnet vor: Jedes Jahr fließen durch die auswärtigen ICC-Besucher 120 Millionen Euro an Kaufkraft in die Stadt.

Kongresszentren sind nicht wirtschaftlich zu betreiben. Fachleute wissen: Keine Stadthalle in Deutschland kommt ohne Zuschuss aus. Auch die neue von der Messegesellschaft vorgeschlagene Kongresshalle anstelle der Deutschlandhalle werde Folgekosten produzieren. Willy Kausch: „In einer solchen Halle werden Kongresse teurer, weil es deutlich mehr Aufwand bedeutet, dort einen Plenarsaal einzubauen.“ Der ist im ICC schon installiert. Auch deshalb ist es Kausch gelungen, für 2008 drei riesige Medizin-Kongresse mit insgesamt fast 40 000 Teilnehmern ins ICC zu lotsen – darunter den Welt-Bluthochdruck-Kongress und den Weltkongress für Genetik.

Für Kausch hat die Kongressstadt Berlin und der Standort ICC unschlagbare Vorteile. Erstens: die Lage mitten in der Stadt. In anderen Städten müsse man in vergleichbar großen Kongresszentren vor den Toren tagen. Und zweitens: die Symbiose zwischen den besten Hotels Europas und den günstigen Preisen. „Berlin ist ein Käufer-Markt“, sagt Kausch. Nicht Hoteliers bestimmten die Preise, sondern die Kongressveranstalter – Folge des Überangebots von Luxus-Hotelbetten. „Das ist ein Riesen-Vorteil gegenüber anderen Städten“, sagt Kausch. Das könne nur gesteigert werden durch ein 1000-Zimmer Vier-Sterne-Hotel direkt am ICC. Damit wäre Berlin unschlagbar.

Trotzdem steht ein Abriss im Raum. 30 Millionen würde das kosten, sagen die Gutachter. „Viel zu wenig“, entgegnet Heinz Oeter. Der Ingenieur war viele Jahre Geschäftsführer der Berliner Niederlassung von Krupp-Stahlbau und überwachte den Bau der Stahlkonstruktion beim ICC. Er schätzt die Abrisskosten wegen der massiven Betonkonstruktion auf 90 Millionen Euro. Allein der Abriss der 11 000 Tonnen schweren Stahlkonstruktion, die von 50 000 Schrauben gehalten werde, kostet nach Oeters Berechnung 13 Millionen Euro. Mit einem oberflächlichen Abriss sei es schließlich nicht getan, so Oeter. Das ICC hat zwei Kellergeschosse unterhalb des Niveaus der Autobahn. Das bedeute: Die Baugrube müsse massiv abgesichert werden, damit die Autobahn und der Messedamm nicht absackten. Der Messedamm müsse für die Dauer eines Abrisses komplett gesperrt werden.

ICC-Architekt Ralf Schüler hat in einem Brief an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) außerdem auf die asbesthaltigen Zement-Platten hingewiesen, die im Gebäudekern verbaut sind. Diese seien so lange ungefährlich, wie man sie in Ruhe lasse. Ein Abbruch aber würde ebenso gefährliche Fasern freisetzen wie der lose Spritzasbest, der im Palast der Republik gefunden wurde. Eine aufwändige Asbest-Sanierung des ICC sei die Folge, die laut Schüler noch einmal 80 Millionen Euro verschlingen könnte.

Auch Heinz Oeter hat seine Bedenken per Brief an den Senat geschickt. Die Antwort: „Klaus Wowereit ließ ausrichten, die Abrisskosten seien von einem neutralen Gutachter geprüft“, sagt Oeter und schüttelt den Kopf. Es sind dieselben, die auch die ICC-Ersatzhalle bauen wollen. „Das ist niemals neutral!“

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