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Berlin: Einheitlich in die Sonne

Ostalgie und Erntedank: Hunderttausende genossen den Sonntag im Freien

Die Meteorologen waren zu skeptisch gewesen: Schnell waren am Sonntagmorgen die Wolken verflogen. Dann kam mit Alpenhoch „Peter“ der Sommer zu einem Kurzbesuch zurück, der auch am Montag andauern soll. Gut eine halbe Million Menschen zog es gestern ins Freie. Die Ausflugslokale machten bei Temperaturen von 20 Grad unerwartet gute Geschäfte, die Cafés, Biergärten und Parks waren voll, und auf den Flohmärkten war es so eng wie im Hochsommer. Allein zur Einheitsfeier am Brandenburger Tor kamen an beiden Tagen nach Schätzung der Veranstalter 150 000 Besucher, mehr als 10000 weitere besuchten die Ländervertretungen in den Ministergärten.

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Die Einheitsfeier westlich des Brandenburger Tores war, wie schon in denVorjahren, eine bunte Mischung aus Bier- und Bratwurstmeile, Krimskrams-Markt und Ostalgieveranstaltung. Auf der Bühne tanzte ein Vopo-Ballett zu Liedern aus dem Film „Sonnenallee“, Souvenirstände verkauften Dienstmützen von DDR-Volkspolizisten und T-Shirts mit dem Staatswappen der untergegangenen Republik, und über allem hing der strenge Geruch von Grillkohle und Alkohol. Manche Besucher waren gezielt gekommen, um ihre Freude über die Wiedervereinigung vor 14 Jahren auszudrücken, für andere war die Feier schlicht ein ganz normales Straßenfest.

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Die Rheinland-Pfälzer, die in ihrer Landesvertretung an ihre römischen Ursprünge erinnerten, konnten sich über einen besonders großen Besucheransturm freuen. Gleich am Eingang standen zwei römische Legionäre Spalier, schwitzten in Rüstung und Kettenhemd („Der Panzer allein wiegt 13 Kilo“). Hinter ihnen formierte sich ein Dutzend Krieger mit Schild und Schwert zum Spalier. „So müsste unsere Polizei auf Streife“, witzelten Besucher, aßen in der Kriegerzeltstadt „Panis“, tranken Gewürzwein, vermissten Asterix.

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Viel Volk kam auch unter dem Fernsehturm zusammen, wo das 35-jährige Bestehen des Bauwerks gefeiert wurde. Ein wenig einfallslos wirkte die kleine Budenstadt mit der Bungee-Anlage. „Unter Honecker“, meinten manche Besucher, „wäre hier richtig gefeiert worden.“ Ostalgie verbreitete auch der „Riesenflohmarkt zum Tag der Deutschen Einheit“ am Ostbahnhof. 250 Läden boten DDR-Reliquien an, Bücher wie „Grenzdienst für den Frieden“, SED- und FDJ-Plaketten. Besucherin Jutta Linke entschied sich für ein „Liederbuch“ und entdeckte darin die „Thälmann-Kolonne“. Und Händler Peter Norman bestätigte: „Das haben wir doch früher immer gesungen.“

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Gesungen wurde auch im Berliner Dom, vor dem der traditionelle Korso von 3000 Motorradfahrern endete. Berliner und Brandenburger Biker gedachten ihrer 50 tödlich verunglückten Kollegen des letzten Jahres. Pfarrer Bernd Schade, evangelischer Biker-Beauftragter, hielt den Gottesdienst, der wegen des vollen Hauses nach draußen übertragen wurde. „Komm Herr, segne uns, dass wir uns nicht trennen“, betete der Pfarrer. Und neben dem Altar war ein Gebinde aus Obst und Gemüse aufgebaut, das die Besucher daran erinnern sollte, was am Sonntag auch war: Erntedankfest.

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Dass es trotz der sommerlichen Temperaturen Herbst ist, konnten auch die Besucher des Cafés am Neuen See am bunten Blätterregen merken. Bootsverleiher Ole Nowakowski freute sich über das unerwartet gute Geschäft. Am Nachmittag standen die Bootsfans sogar Schlange.

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