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Berlin: Einkauf mit flauem Magen

Von Katja Füchsel Die Sonne strahlt auf das Dach der Würstchenbude, die Fritteusen tun ihr Übriges – und doch fröstelt die Frau am Tresen. Nein, über Donnerstagabend möchte sie nicht reden.

Von Katja Füchsel

Die Sonne strahlt auf das Dach der Würstchenbude, die Fritteusen tun ihr Übriges – und doch fröstelt die Frau am Tresen. Nein, über Donnerstagabend möchte sie nicht reden. „Ich will das lieber vergessen“, sagt die Verkäuferin. Dann erzählt sie trotzdem. Vom Bombenalarm, der Räumung des Wal-Marts, ihrer Bude davor, der stundenlangen Warterei auf dem Parkplatz. Der Schock habe sie erst am späten Abend zu Hause erwischt. Und jetzt? „Ein mulmiges Gefühl bleibt.“

Dabei gleicht der Tag danach jedem anderen Freitag vor dem Wal-Mart an der Karl-Marx-Straße: Autos suchen nach Parkplätzen, mächtige Einkaufswagen scheppern über den Asphalt. Kaum einer scheint sich von den Nachrichten abhalten zu lassen. „Ich gehe ganz gemütlich einkaufen“, sagt ein Kunde breit grinsend. „Bombenstimmung bei Wal-Mart!“ Daneben räumt eine Frau Nudeln, Gemüse und Selters in ihren Kofferraum. „Ich bin kein ängstlicher Typ“, erklärt sie schulterzuckend. „Wenn’s einmal passiert ist, passiert’s nicht wieder.“

Etwas verkrampft hält hingegen eine junge Blondine die Tüte unterm Arm. „Ich stand Donnerstag gerade an der Kasse, als gegen 19 Uhr alle raus mussten.“ Beim Warten habe sie bereits beobachtet, dass immer mehr Polizisten in Richtung Schreibwaren und Handtücher verschwanden. Dann wurde rot-weiße Absperrleine gezogen, schließlich hieß es über Lautsprecher: „Alle sofort raus. Wegen technischer Schwierigkeiten.“ Den gefüllten Wagen musste die 21-Jährige stehenlassen, deshalb war der Kühlschrank heute gähnend leer. Also wieder her. „Aber natürlich hat man Angst.“

Den Sicherheitsleuten im Wal-Mart dürften die beiden entdeckten Brandsätze unruhige Arbeitstage bescheren. „Es sind alle etwas nervös heute“, sagt einer. Dunkelblaue Hose, hellblaues Hemd, dunkelblauer Schlips. Er weist seine Männer zwischen Kassen und Glastür wortlos an. Hier ein Nicken, da ein Fingerzeig. Auch sonst zeigt sich der Mann wenig gesprächig. Anweisung von oben, sagt er und: Bitte, keine Fotos.

Die blauen Kittel der Frauen an den Kassen verkünden eine andere Botschaft: „Willkommen bei Wal-Mart. Immer.“ Über ihnen hängen lustige Luftballons, viele Herzen, ein paar Tiere. Die Mitarbeiter hat man hier auf die Firmenphilosophie des amerikanischen Einzelhandelsriesen eingeschworen. Damit ja niemand vergisst, dass der Kunde König ist, trifft sich die Belegschaft morgens zum Einstimmungsprogramm, dem „Morning Cheer“ - „Wer ist die Nummer eins?“ „Der Kunde!“

An diesem Morgen muss beim Cheering noch ein weiterer Tagesordnungspunkt dazugekommen sein. „Ich gebe keine Auskunft“, sagt eine Frau zwischen den Kleiderstangen. „Kein Kommentar“, heißt es zwischen den Zeitungen. „Wenden Sie sich an die Zentrale in Wuppertal“, lässt die Geschäftsleitung ausrichten.

Aber wer reden darf, redet. Wie beispielsweise der Mann, der für eine fremde Firma an der Rampe arbeitet. Oder der Verkäufer am Cola-Stand. Die Frau am Imbiss. Und alle erzählen etwas anderes. Da kursieren Gerüchte, dass eine Verkäuferin am Abend eine auffällige Keksdose gefunden habe: „Da guckten zwei Drähte raus.“ Dass die Feuerwerker die Bombe gegen 21 Uhr im Supermarkt entsicherten: „Da gab es einen mächtigen Knall.“ Dass der Brandsatz auf der Damentoilette gezündet wurde: „Da roch es morgens noch nach Rauch.“ Und dass der Supermarkt am Morgen ein Bild der Verwüstung bot: „Die Polizei hat alles aus den Regalen gerissen.“

Spurlos sind die Ereignisse auch an der McDonalds-Filiale im Haus nicht vorübergegangen. „Aus betriebstechnischen Gründen erst ab 11 Uhr geöffnet“, steht morgens auf einem Zettel an der Tür. Weil die Mannschaft fluchtartig den Laden verließ, während die Polizei das Gelände abriegelte, mussten morgens erst einmal die Öfen geputzt werden. Derweil beschäftigt die Frau an der Würstchenbude noch ein ganz anderes Problem. Bis gestern hat sie die Toilette im Supermarkt besucht. „Aber das überlege ich mir immer drei Mal.“

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