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Berlin: Einsam am Zeichentisch

Hexen, Waldgeister, Spukgestalten? Für Klaus Ensikat vertraute Figuren, die er wieder und wieder mit filigranem Federstrich entworfen hat. Er male keine Bilder, sondern Reproduktionsvorlagen, kommentiert der erfolgreiche Buchillustrator seine Kunst. Lothar Heinke hat sich trotzdem nicht abschrecken lassen

MEIN BILD VON BERLIN (4): KLAUS ENSIKAT

er Meister lächelt so hintergründig wie manche seiner Figuren und antwortet genau so, wie man es gerade nicht erwartet. Zum Beispiel, als wir den Wunsch äußern, sein Atelier betrachten zu dürfen. Schließlich möchte man wissen, in welcher Ecke der großen Wohnung unterm Dach eines Hochhauses am AntonSaefkow-Platz Klaus Ensikats Figuren und Figurinen entstehen. „Also, Atelier? Hab ich hier nicht. Kenn ich nicht. Atelier hat nur mein Schneider.“ Hm. Na gut, dann eben „künstlerisches Werkstattbüro“. Wir gehen durch einen langen Flur. Eine Tür öffnet sich, strahlend fluten Sonne und Licht in den Raum, vor dessen breitem Fenster ein Zeichentisch mehr schwebt als steht, darauf Papier, Lineal, Stift und Brille. Das also ist der Ort zwischen 14. Stockwerk und Himmel, in dem all die Geschehnisse und Gestalten geboren werden, die der Maler mit seiner Kunst zu Büchern und zu Geld macht. Weit hinaus geht von hier, an der Grenze von Lichtenberg, Hohenschönhausen und Prenzlauer Berg, der Blick gen Westen. Alexanderplatz und Gendarmenmarkt, Potsdamer Platz und Zoo-Gegend verschachteln sich, verschmelzen – von da unten kommt nichts in die Stube geflogen, eher schon vom nahen Himmel: Jules Ratte von Peter Hacks, die wilden Hexen von Goethes Blocksberg, die Waldgeister und der Holländer-Michel aus Hauffs „Kaltem Herz“ und unzählige andere Menschen, Mächte und Malaisen. Hier, im Malerstübchen, versammeln sie sich für kurze Zeit, um dann, zwischen Wörterzeilen und Buchdeckeln, in die Welt zu wandern, auf Nachttische, unter Bettdecken, in die Regale.

Goldene Äpfel

Klaus Ensikat, Jahrgang 1937, ist einer der besten deutschen Buchkünstler, ein Illustrator von Rang, der, wie der Blick ins Archiv zeigt – er selbst schweigt bescheiden darüber –, mehrmals den „Goldenen Apfel“ der Biennale Bratislava und für mehr als ein Dutzend Bücher den Titel „Schönstes Buch des Jahres" erhalten hat. Die wohl wichtigste Auszeichnung gab es 1996: Der Hans-Christian-Andersen-Preis gilt als so etwas wie der Nobelpreis für buchkünstlerisches Schaffen.

Vielleicht haben Sie einen Ensikat ganz in der Nähe: Mit filigranem Federstrich gibt er Gestalten Gesichter und Situationen eine federleichte Rahmenhandlung. Er erfindet Fabelwesen, setzt in märchenhaft-verspielten Landschaften optische Glanzlichter. Es scheint, als fühle sich der Künstler der reinen Kinderseele verpflichtet – sein Zeichengerät schwärmt und karikiert, kommentiert und phantasiert. Der Text hat manchmal Mühe, sich gegen diese hintergründige Malkunst zu behaupten. In Rezensionen wird denn auch nicht an Superlativen gespart: stimmungsvoll, melancholisch, liebevoll, ironisch. Mit virtuoser Leichtigkeit.

Auch für Jugendliche zeichnet Ensikat, wie in der Reihe „Weltliteratur für Kinder“ oder im Rahmen der „Kinder-Uni“, bei der berühmte Forscher die Rätsel der Welt erklären. „Hier kann man eine Aufgabe darin sehen, dem Text den Hintergrund zu verschaffen“, sagt er. „Warum sich Leute nicht mit Revolvern erschießen, sondern mit Säbeln erschlagen, weil sie noch keine Revolver haben, oder warum es vor 200 Jahren sehr schwierig war, Kaffee zu kochen, weil man erst einmal Feuer machen musste. Ein Teil des Buches ist eben immer das Bild, sonst haben Illustrationen überhaupt keinen Wert.“

Wie ist der Meister vom Himmel gefallen? Erblich belastet, zumal sein Bruder Peter lebenslänglich Star-Autor und Chef des Kabaretts „Die Distel“ ist? Blöde Frage, denkt er (so streng, wie er guckt) und sagt, Muskeln würden vererbt, sonst nicht viel. Bei Schauspielern sei das mit dem Vererben anders. Das Dasein des Illustrators sei im Grunde ein einsamer Beruf, man sei mit sich, der Feder und der Phantasie allein. Schauspieler oder Musiker seien dagegen Kommunikationsberufe, da arbeiteten mehrere zusammen, „aber Zeichner? So etwas wird man nur, wenn es keine anderen Möglichkeiten gibt. Man muss dazu in Mathe so schlecht sein, dass ein Physikstudium nicht in Frage kommt.“

Was dann, damals, 1951, in Finsterwalde? Ensikat lernt Gebrauchswerber, was soviel bedeutet wie Schaufensterdekorateur. Danach kommt ihm zupass, dass alle Betriebe die Auflage haben, für die weitere Qualifikation ihrer Leute zu sorgen. „Die hatten sich überlegt: Wer ist der Faulste? Wen können wir entbehren? Wen wollen wir loswerden? Dann kam der Kaderleiter und sagte: Du bist geeignet, zu studieren. Welch ein Glücksfall!“

Der brave Dekorateur Schwejk kam also an die renommierte Fachschule für Angewandte Kunst in Berlin-Schöneweide, wo man in vier Jahren zum Gebrauchsgrafiker, Werbefachmann und Ausstellungsmacher ausgebildet wurde. Ensikat ging danach, von 1958 bis 1960, als Werbegrafiker zur Dewag, der (ost-)deutschen Werbeagentur, einem Monopolbetrieb, der die Messen und Ausstellungen ausstaffierte, aber auch Parteitage dekorierte, plakative Ernteschlachten schlug und die Wahlen schon vorneweg gewann. Solche Agitation war nur den Genossen bei der Dewag vorbehalten, die ein Plakatmädchen, das für eine wundervolle Zukunft Reklame lächeln sollte, nicht etwa nach Schönheit auszusuchen hatten, sondern danach, ob Vater und Mutter auch regelmäßig ihre Parteibeiträge zahlten. Ensikat, parteilos, zog sich aufs harmlosere Gestaltungsfeld zurück und entwarf Anzeigen, Filmplakate und Puddingpulvertüten, bis er von 1961 bis 1965 an die Schule in Schöneweide zurückkehrte, diesmal als Lehrer für künftige Werbefachleute. „Das war inzwischen eine halbmilitärische Einrichtung geworden: Als ich in die Klasse kam, standen alle artig auf.“ Die Kür für den Lehrer waren Werbeschriften für den Aufbau-Verlag, Illustrationen für den „Sonntag“, Theaterprospekte, Schutzumschläge. Das artete derart aus, dass er in den Verband Bildender Künstler, „damals ein Verein freundlicher alter Herren“, aufgenommen und gefördert wurde.

Nun war Ensikat freischaffender Künstler, die Karriere als Illustrator begann. Zusammengekommen ist ein Stapel Kinder- und Märchenbücher, Weltliteratur, Populärwissenschaftliches, Lyrik, Berlin-Literatur. Seit 1995 ist er Professor an der Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg. „Ich male keine Bilder, sondern fertige Reproduktionsvorlagen“, sagt der Meister in aller Bescheidenheit. Wir widersprechen heftig und fragen, weshalb er in unserer Serie „Berliner Blicke“ den Gendarmenmarkt gewählt habe. „Der gehört zum literarischen Berlin – durch E. T. A. Hoffmann, meinen Freund.“ Außerdem: Die beiden Kirchen bekamen vom König Türme verordnet, die reine Dekoration sind. Der Platz wurde öfter umbenannt, das Schauspielhaus zum Konzerthaus gemacht – „passt das nicht alles wunderbar zu Berlin?“

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