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Gefahr oder Nutzen? In der weitgehend industrialisierten Landwirtschaft Brandenburgs wird Glyphosat auf den Monokulturen in immer größeren Mengen versprüht. Foto: Paul Zinken/dpa

© picture-alliance/ ZB

Berlin: Einsatz mit Nebenwirkungen

Lange Zeit galt Glyphosat als Wundermittel im Kampf gegen das Unkraut. Jetzt fordert das Umweltministerium eine Neubewertung.

Potsdam- Sattgrün ist der Behälter mit der Spritzpistole. Die Aufschrift klingt vielsprechend: „RoundupSpeed, Unkrautvernichtung total“. Ein Breitbandherbizid also. Drei Liter sind drin, erhältlich im Baumarkt für 24,05 Euro. Lange Zeit galt Glyphosat, der Wirkstoff des Präparates, als harmloses, aber sehr effektives Mittel in der Hand von Hobbygärtnern und Landwirten. Doch es mehren sich Stimmen, dass dies ein Trugschluss sein könnte. Besonders in Brandenburg und anderen ostdeutschen Ländern ist Glyphosat höchst umstritten. Dort hat sich die industrialisierte Landwirtschaft durchgesetzt. Zwischen Uckermark und Lausitz wird das Herbizid auf den Monokulturen mit Mais, Raps und Roggen in immer größeren Mengen versprüht.

In den vergangenen Tagen nahm sich nun auch Brandenburgs Umwelt- und Gesundheitsministerin Anita Tack (Linke) der Sache an. Das Risiko von Glyphosat für Mensch und Natur müsse „dringend neu bewertet werden“, verlangte sie. „Glyphosat hat im Garten nichts zu suchen.“ Den Anstoß dazu gaben die jüngsten Beschlüsse der Umweltministerkonferenz der Bundesländer (UMK). Die Ministerrunde hatte die Bundesregierung Mitte November zu einer „umfassenden Risikoneubewertung“ von glyphosathaltigen Mitteln aufgefordert.

In Brandenburg wächst die Sorge wegen des Trends zur „Sikkation“, einer Erntemethode mithilfe von Roundup-Herbiziden. Normalerweise wird Glyphosat nur vor der Aussaat ausgebracht, um die jungen Kulturpflanzen vor dem Gift zu schützen. Bei der Sikkation spritzt man nun aber Mais oder Getreide kurz vor der Ernte mit einer Giftdusche gezielt tot. Die Pflanzen sterben ab, trocknen auf dem Feld und sind so leichter zu ernten und zu verarbeiten. „Bei der Sikkation werden die Herbizide noch mal ordentlich reingeknallt“, sagt Werner Kratz, Privatdozent am Institut für Biologie der Freien Universität Berlin (FU) und Vizevorsitzender des Naturschutzbundes Brandenburg (Nabu). Möglicherweise bringe das umstrittene Verfahren den Stoff vermehrt in die Lebensmittelkette. Jüngste Funde von Glyphosat im menschlichen Urin könnten damit zusammenhängen.

Wegen dieser Ergebnisse hat Österreich die Sikkation bereits untersagt. Auch der deutsche Bundesrat unterstützt ein solches Verbot. Zumal das Vertrauen in die Landwirte erschüttert ist, seit Studien zu dem Ergebnis kamen, dass sich jeder zweite von ihnen beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln offenbar nicht an die Sicherheitsvorgaben hält, also beispielsweise den nötigen Abstand zu Wasserflächen oder Wegen ignoriert. Ähnlich dilettantisch verhalten sich aus Sicht des Nabu und des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) viele Hobbygärtner im Umgang mit „Roundup“. Die Naturschützer waren kaum überrascht, als 2012 und 2013 bei stichprobenartigen Untersuchungen von Brandenburger Feldtümpeln teils erhebliche Rückstände von Herbiziden festgestellt wurden. Laut BUND lagen sie in einigen Fällen über den zulässigen Grenzwerten fürs Grundwasser.

Doch ab welcher Dosis gefährdet das Roundup-Herbizid die Gesundheit und die Natur? Der BUND zitiert Studien, nach denen die Chemikalie Missbildungen und Tumore beim Menschen verursachen kann. Der Naturschutzbund Nabu verweist auf Studien zur ökotoxischen Wirkung, unter anderem erstellt vom Umweltbundesamt. Danach starben Mikroorganismen, Frösche und Kröten unter den üblichen Konzentrationen, mit denen das Herbizid versprüht wird. Und die Schmetterlingsexperten von der Entomologischen Gesellschaft Orion Berlin sind gleichfalls schlecht auf Glyphosat zu sprechen. „Wildkräuter, von denen sich Raupen ernähren, werden vernichtet“, sagt Orion-Mann Bernd Schulze. „Im Berliner Umland gibt’s kaum mehr Tagfalter.“

Hinsichtlich der Gefahren für den Menschen sah das Bundesinstitut für Risikobewertung bislang keinen Anlass zur Sorge. Es wertete hunderte Studien aus und kam zum Schluss, man könne die Grenzwerte für Glyphosat gar erhöhen. Für Nabu-Wissenschaftler Werner Kratz hat diese Vorgehen einen „entscheidenden Schwachpunkt“. Die Zulassung der Präparate erfolge nur wirkstoffbezogen. Glyphosat wird aber mit anderen Mitteln gemischt, beispielsweise um die Sprühfähigkeit zu verbessern. Man weiß heute, dass einige dieser Stoffe die Giftigkeit des Herbizides steigern können– was aber in die Risikoabwägung noch zu wenig einbezogen wird.

Unterdessen sind die Flächen, auf denen in Brandenburg Mais angebaut und besprüht wird, rasant gewachsen – von 167 000 Hektar im Jahr 2011 auf bislang 194 000 Hektar. Unter diesem Druck fordert die Agrarexpertin der linken Bundestagsfraktion, Kirsten Tackmann, sogar noch mehr als ihre Parteigenossin, Umweltministerin Tack. Die Sikkation und Glyphosat in Privatgärten müssten verboten werden, sagt sie. Die Ministerin will hingegen erst mal die „anstehende Neubewertung abwarten“. Und das Landesamt für Landwirtschaft setzt vor allem auf die Einsicht der Landwirte. Man wolle sie besser schulen und mehr kontrollieren. Es gebe schon Fortschritte.

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